Donnerstag, 16. Dezember 2010

Trimesterbericht 1.0

Da der standartisierte BMZ-Vertrag vorsieht, dass jeder entwicklungspolitische Freiwillige alle drei Monate einen zwischen Bericht abliefert, musste ich mich vor ein paar Wochen auch daran setzen. Ich sollte also meine Vorbereitungs-, Anfangszeit sowie erste Eindrücke/Erfahrungen. Da dieses offizielle Dokument an yap-cfd e.V. sowie die Bundesregierung weitergereicht wird, musste ich es natürlich recht formell belassen. Nichts desto trotz gibt es eine kleine Zusammenfassung wieder.

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Schon lange Zeit vorab hatte ich mich entschieden, nach Ende meiner Erzieherausbildung das Abenteuer im Ausland in Angriff zu nehmen. Durch mehrere Zufälle bekam ich heraus, dass es sogar die Möglichkeit gibt, seinen Zivildienst anstatt in Deutschland, in einem anderen Land zu absolvieren. Welch eine Fügung, dass dies auch im entwicklungspolitischen Sinne funktioniert, wo ich meinen erlernten Beruf auch direkt einsetzen kann. In dieser äußerst kurzen Fassung stieß ich auf das Weltwaerts-Programm und begann Bewerbungen zu schreiben, Auswahlseminare zu besuchen und schließlich den Vertrag von YAP-CFD e.V. zu unterschreiben.

Von hier an ging die Vorbereitung dann erst richtig konkret los. Ich kannte mein Ziel hier in Bolivien, die Fundación Estrellas en la calle. Da die Vertragsunterschreibung für alle entwicklungspolitischen Freiwilligen einige Zeit in Anspruch nahm, überbrückte ich die Zeit bis zum Vorbereitungsseminar mit eigenen kleineren Recherchen, ließ mich aber von der einen Woche weitestgehend überraschen. Hier besprachen wir erneut unsere Motivation, Erwartung sowie Befürchtung, aber auch Gefahren kultureller Unterschiede, die Menschenrechte, wichtige bürokratische Formalitäten und Erfahrungsberichte. Unser eigenes bevorstehende Jahr und seinen Sinn sowie Erfolgschancen betrachteten wir erneut äußerst kritisch. Schön war, dass durch kleinere Spiele (die fast alle in ihren Projekten wieder anwenden können), Gemeinschaftsaktivitäten und freie Zeit für unterschiedlichste Gruppenprozesse und Abwechslung gesorgt wurde. Dadurch formierte sich das Seminar insgesamt zu einer äußerst positiven und hilfreichen Erinnerung. Bemerkenswert bleibt noch, dass wir gemeinschaftlich Überlegt haben, wie wir mit den spontanen Weltwaertskürzungen, die alle Organisationen außer den Deutschen Entwicklungsdienst betreffen sollten, umgehen sollten. Bei manchen stand einfach schon die Abreise in 6 Wochen an. In dieser kurzen Zeitspanne umzuplanen fällt äußerst schwierig, da für Universitäten und Ausbildungen die Bewerbungsfristen schon abgelaufen sind.

Auf dem Vorbereitungsseminar besprach ich zu meiner Freude direkt mit meiner Mentorin, dass wir das Projektseminar kurz vor meinen Abflug legen, da bereits feststeht, was ich alles vorher besorgen muss. Zudem war ich dann auch schon mit meinen Abschlussprüfungen durch und konnte alle Eindrücke, die mir reichlich verabreicht wurden, wesentlich besser aufnehmen. Auch konnte ich dann durch den persönlichen Kontakt alle bis dahin entstandenen Fragen klären. Das Team von YAP-CFD e.V. kümmert sich damals wie heute äußerst vielseitig und umsichtig um meinen Aufenthalt und bietet mir zu jeder Zeit ein offenes Ohr.

Durch die Vorbereitung in Deutschland viel es mir recht leicht in meinem Projekt anzukommen, dabei half natürlich auch die Einführungswoche meiner Arbeitsstelle. Uns wurde unsere generelle Position, Sinnhaftigkeit und Möglichkeiten sowie alle einzelnen Projekte vorgestellt. Anschließend ging die Arbeit sofort los. Da ich am Vormittag im Präventionsbereich und am Nachmittag auf der Straße arbeite, gestaltete sich der Start natürlich unterschiedlich. Die erste Hälfte vom Tag erlebte ich zunächst holperig, da Aufgaben sowie Anleitung im Tagesgeschehen fehlten. Schnell wurde mir bewusst, dass meine Chance darin liegt, meine eigenen Vorschläge und Ideen umzusetzen und dadurch Erfahrungen zu sammeln. Nach dem Mittagessen konfrontierten mich dann eher kleinere Kulturschocke bezüglich Umgangsweisen innerhalb den Straßenkindergruppen und der blanken Armut. Dies konnte das Team aber sehr gut auffangen sowie auch sprachliche Schwierigkeiten. In den Aktivitäten merkte ich, dass ich meine eigene Schüchternheit überwinden muss, um das anfängliche Interesse der Kinder nicht einfach versiegen zu lassen. Nachmittags im Projekt Coyera klappte dies recht gut, da ich beim Fußballspiel und Gesprächen mit eingebunden wurde. Mittlerweile soll ich mit einem anderen Freiwilligen, selbst Straßensozialarbeiter mit langjähriger Erfahrung, einmal wöchentlich die Aktivitäten für eine Gruppe planen und umsetzen. Bei Bedarf können wir uns jederzeit Hilfe aus dem Team holen. Damit dies hier nicht falsch verstanden wird: Wir besuchen die Gruppen nie ohne das Team! Nichts desto trotz wurde uns beiden Verantwortung übertragen, die wir sehr gerne auf uns nehmen. Darüber hinaus werde ich gerade in der Einzefallbetreuung eines jungen Mannes, der nach etlichen Jahren die Straße erfolgreich verlassen hat, stark mit eingebunden. Resümierend möchte ich zu dem Projekt Coyera sagen, dass ich von Anfang an herzlich aufgenommen wurde und schrittweise an Aufgaben und Verantwortlichkeiten herangetragen wurde, wofür ich sehr dankbar bin.
Meine Vormittage im Inti Kánchay haben sich seid dem Anfang sehr stark verbessert. Nach ihrem Mutterschaftsurlaub kehrte die alte Chefin und Theaterpädagogin zurück. Mit ihr zusammen soll ich den Arbeitsbereich des Erziehers übernehmen. Soziale Arbeit und psychologische Betreuung übernehmen werden von zwei anderen Fachkräften betreut. Durch diese Zusammenarbeit übertrug mensch mir endlich Aufgaben und Verantwortungen. Wir fingen direkt an, ein Theaterstück mit den Kindern zu üben, welches Tanz, Spiel und Gesang einschließt. Weitere Aktivitäten planen wir gerade, die dann nach der Aufführung umgesetzt werden sollen.

Doch führe ich neben meinem professionellen Leben auch noch ein privates, von dem ich nur positives berichten kann. Schnell freundete ich mich mit einigen Arbeitskollegen an, die mir gerne ihr Land und Kulturen zeigten. Von diesem äußerst erfreulichen Start wuchs mein soziales Netzwerk stetig an, so dass ich mich gut von der Arbeit erholen kann. Capoeira- sowie Charango-Unterricht versüßen natürlich umso mehr die freien Stunden. Ich denke, dass ich durch diese gute Anbindung an das Leben hier, Deutschland eher wenig und nur in bestimmten Momenten vermisse. Feten, gemeinsames Kochen, Ausflüge und Reisen versüßen mir meine Zeit schon extrem.

Spannend bleibt, wie sich der schnell eingestellte Alltag weiterentwickeln wird, sowie auch meine Arbeit, welche neuen Erfahrungen ich sammeln werde und welche Überraschungen das Leben noch für mich bereit hält.

Sonntag, 12. Dezember 2010

Reisen

Durch die noch übrig gebliebenen Überstunden von dem Wochenende, an dem wir eine kirmess veranstaltet haben, um Geld für das Restaurantprojekt Kartoffel zu sammeln. Sprich: Wir haben verschiedene bolivianische Gerichte und refrescos angboten. Ein Tag Vorbereitung, am anderen fand das Spektakel dann statt. Dadurch bekam jeder von uns 2 Tage an Überstunden gutgeschrieben, die bis Ende November genommen werden musste. Da ich ja auch immer am Samstagvormittag meine Schicht im Inti K’anchay schiebe, ging ein halber Tag für die tolle Reise nach La Paz drauf.


Dort kamen wir bei Freunden (andere Freiwillige aus ihrer Organisation) von Ronja und Mia unter, genauer gesagt in EL Alto, der höchstgelegenen Stadt der Welt. Durch die Nähe zum Himmel fallen die Temperaturen natürlich extrem stark ab. Ein Grund mehr beim Konzert meines Charango-Lehrers Fernando und der Band Atajo ordentlich zu Tanzen. Natürlich haben wir uns auch ein wenig im Touristengebiet rumgetrieben. Doch zum Glück nur, bis wir uns mit Fernando, der hier aufgewachsen ist, trafen und leckeren Fisch aus dem Titicacasee aßen. Nach einem kurzem Absteche bei seiner Familie, trennten sich unsere Wege, da er sich aufs Konzert vorbereiten musste.


In der Zeit fanden ein vegetarisches Restaurant, in dem mensch oder doch lieber direkt Mönch uns zu einer Festlichkeit zur Säuberung eines Steines von einem heiligen indischen Berg. Somit saß ich mit den beiden Mädels mitten in eine Feier Hare Krischnars. Was für ein Erlebnis! El Alto schauten wir uns am nächsten Tag an oder was wir davon überhaupt sehen konnten. Wir gingen schließlich auf den Sonntagsmarkt, der ein ganzes Stadtviertel einnimmt. Um die Dimension noch ein wenig anders zu beschreiben: Wie gewöhnlich gibt es bestimmte Bereiche für bestimmte Produkte, doch irrten wir ganze Häuserblöcke durch das Möbelareal und trafen auf Straßen, wo nur Kommoden oder ausschließlich Tische oder Betten angeboten wurden. Riesig. Natürlich verirrten wir uns in dem Gewusel mehrmals. Leider gab uns die lokale Bevölkerung durch eigene Verwirrung oder Unkenntnis z.T. äußerst falsche Richtungsangaben.



Übrig blieben also noch 1 ½ Tage. Diese wollte ich mit Mia in einem Dorf in der Nähe Cochabambas verbringen. Ich fragte also in meinem Freundeskreis rum, welche Orte zu empfehlen sind. Schlussendlich vertraute ich Christoph, der schon immer nach Mizque reisen wollte, es aber nie schaffen sollte. Für alle anderen vorgeschlagenen Siedlungen wünsche ich mir mehr Zeit. Ich besorgte uns also Bustickets, die uns in der Nacht ankommen ließen.


Da solch ein provinzielles Dorf fast nur am Dorfplatz Straßenlaternen in Betrieb hält, folgten wir den Wegbeschreibungen der Bevölkerung in dunkle Straßen. Nach meinen beiden Erlebnissen und etlichen Erzählung war ich im Gegensatz zu Mia recht misstrauisch unterwegs. Die liebe Cholita saß schlafend vor ihrem Hostal und ließ und recht laut rufen, bis sie aufwachte. Am Morgen klopfte sie dann um 8 Uhr an der Tür, um abzukassieren. Vom Dorfplatz aus und einigen Informationen aus dem lokalen Museum über archäologische Fundstätten liefen wir los in die Pampa, durchquerten einen Fluss und bestaunten, wie tief die Taxis dabei ins Wasser einsanken.


Je weiter wir von dem ärmlich erscheinenden Dorf entfernten, umso einfacher und existenzieller wurden die Lebensverhältnisse. Auf dem Beet/Acker vor der Tür tummelten sich Huhn, Schaf, Kuh, Schwein und Hund, wobei im mittelalterlicher Art und Weise Rinder den Holzpflug durch die vertrocknete Erde schabten. Mizque selbst liegt in einem Tal, umrundet von vielen aber oft recht kahlen Bergen. Durch die sengende Hitze, beständige Waldbrände und grundsätzlich typische Flora und Fauna spazierten wir eine ganzen Tag lang durch pralle Sonne. Da entschieden wir uns schnell für den Weg auf den alten Schienen, anstatt weiter den Berg hinauf zu steigen. Zumal lächelte uns ein wenig mehr Abenteuer entgegen. Wer große Touristenattraktionen erwartet, dem kann ich dieses kleine bezaubernde Örtchen nicht empfehlen. Doch an Natur kann sich hier satt erlebt werden. Z.B. begrünten die braun-orange und aufgeplatzte Erde Kackten, Bäume, deren kleine Blätter wie eine grüne Lampe strahlten. Leider trat ich auch in Dornen, die sich so fies in meine Sohle gepiekt haben, dass ich sie mit meiner Zange rausziehen musste.


Irgendwann entdeckten wir dann eine gigantische Hängebrücke, die wir uns unbedingt anschauen mussten. Ich denke, dass sie errichtet wurde, damit die Menschen auch noch in der Regenzeit den Fluss überqueren können. Zurück im Dorf genossen wir direkt refrescos und fanden heraus, dass der Markt noch offen hat. Dies zogen wir doch glatt einem schnöseligen, uns direkt empfohlenen Restaurant vor. Lustig fand ich, dass ich mir immer überlege, was ich zu Kartoffeln, Reis oder Nudeln dazu kochen möchte. Auf unserem Teller fanden wir alles drei reichlich und ein Stück Fleisch mit leckerer Soße vor. Diese Köstlichkeit kostete uns gerade mal umgerechnet 1€. Wann immer ich Zeit fand, übte ich zur Freude Mias Charango. Nachts ging es dann mit dem Bus zurück. Das verrückte dabei ist, jederzeit Zugestiegen werden kann, weswegen der Bus schnell überfüllt war und einige Menschen die fünf Stunden rüttelfahrt schlafend auf dem Gang verbrachten.

Samstag, 20. November 2010

Bienvenidos

Alle guten Dinge sind drei, doch vielleicht können wir es dieses Mal bei zwei belassen. Am Mittwoch trank ich mit Orlando bei ihm zu Hause einen Kaffee und tauschten Musik aus -ein wunderschöner Abend. Zuvor hatte ich mich just mit Johannes darüber unterhalten, natürlich auf Spanisch, dass es ein wenig komisch wirkt, wie uns immer wieder zu fast allen Gebieten Boliviens gesagt wird, dass es peligroso (gefährlich) sei. Ob das nun in der Innenstadt oder im Rand Cochabambas sei, immer sei es nicht sicher. Wir schlossen daraus einfach, dass die Kriminalität eine andere Rolle im täglichen Leben spielt und so oder so alles gefährlich ist. Weswegen wir uns immer vorsehen müssen.

Nachts durch die Straßen laufen ist riskant, weil mensch hier ausgeraubt, überfallen und belästigt werden kann. Also folgt die logische Schlussfolgerung mit Trufi oder Taxi zu fahren. Doch wie wir aus meinen Erfahrungen gelernt haben, ist das auch nicht Gottes Segen. Bei Taxis muss auch Vorsicht gewaltet werden, denn es fahren auch sogenannte falsche Taxis durch die Stadt, die einen dann direkt zum nächsten Bankautomaten, nach Hause oder woandershin bringen. Was bleibt nun übrig, wenn alle Varianten mit einem gewissen Risiko beladen sind? Vorsicht walten lassen? Doch die hilft auch nicht immer, wie wir an meinem Beispiel sehen werden.

Ich verlasse gegen 10.30 Uhr das Haus von Orlando, verabschiede mich an der Hauseingangstür bei dem Sicherheitsdienst und mach mir Musik an, um meine Freude über den Abend aufrecht zu erhalten. Mit Musik läuft es sich einfach angenehmer nach Hause. In aller Freude zieh ich meine Spur durch die Straße. An der Ecke, wo ich abbiegen möchte, kommen mir im Schatten des Baumes zwei Männer just um dieselbe entgegen. Als wir uns sofort auf gleicher Höhe befanden, drehte sich der eine Mann zu mir, als ob er mich nach etwas fragen möchte. Im selben Moment merkte ich, dass hier etwas nicht stimmt, dass die beiden nichts Schönes wollen. Intuitiv setzte ich an, um loszurennen. Sah auch das Messer in seiner Hand. In meinem Körper schreit alles Alarmstufe Rot, allmögliche Hormone initiieren sich selbst. So stell ich mir eine Drogeninjektion vor: auf Knopfdruck verändert sich jegliches Gefühl, der ganze Körperzustand. Damit aber niemand wegrennen kann, sind es ja schließlich zwei. Beide drückten mir ihre Messer in die Brust und kommandierten wild herum. Natürlich kannte ich die Idee, dass mensch in solchen Situation vollkommen ruhig und kooperativ bleibt, um sich so gut wie möglich zu schützen. Doch hatte ich viel zu viel Angst, um auch nur annähernd logisch denken zu können. Mit zwei Messer gegen die Wand gedrückt bedienten sie sich sofort an meiner Hosentasche. Mein Geld hatte ich jedoch in der anderen, die mit meiner Seite an der Wand klebte. Somit fanden sie mein altes, fast nicht mehr funktionierendes Handy, mein MP3-Player und Schlüssel. Beim Wegrennen sog mir einer noch ein Stück Papier aus der hinteren Tasche. Mit einer dreifachen Überdosis Adrenalin rannte ich zurück zu Orlandos Haus, doch leider war der Sicherheitsdienst nicht mehr zu sehen. Auch durch wahlloses Klingel zeigte er keinen Pieps von sich. Irgendwann gab ich auf und rannte zu mir nach Hause. Orlando konnte ich schließlich nicht anrufen, da mir gerade mein Handy abgenommen wurde, leider auch mein Schlüssel. Weswegen ich Doña Miriam aufwecken musste, damit sie mir aufmacht und den Ersatzschlüssel für mein Zimmer gibt, den sie zum Glück noch hatte. Mit einer zweistündigen Verzögerung landete ich endlich in meinem Bett und durfte die Luft Cochabambas noch lange weiter genießen. Bis sich mein Adrenalinspiegel soweit abgesenkt hatte, dass ich schlafen konnte. Doch zunächst klebte ich noch Zettel an die Türen meiner Mitbewohner, dass sich mich am nächsten Morgen wecken sollen. Das hatte sonst immer mein Handy übernommen.

Klar habe ich jetzt danach etliche Ersetzungen zu besorgen, doch was mich viel mehr beschäftigt, ist was ich für Konsequenzen daraus ziehen soll. Als ich mich im Nachhinein mit meinen Freunden darüber unterhalten habe, hörte ich von jedem mindestens auch ein Geschichte über den eigenen Raubüberfall. So schlimm sich das auch sagen lässt, gehört Diebstahl oder alles was unter dem Ausdruck, dass es gefährlich sein, zusammengefasst wird zu dem Leben hier dazu, vor allem wenn mensch mit seiner weißen Hautfarbe hervorsticht.

Dienstag, 16. November 2010

Donnerstag, 4. November 2010

el dia de los muertos


de Christoph Hanser
Seid neustem habe ich jeden Dienstagmorgen frei, da ich schließlich am Samstag um 7 Uhr aufstehe, um gut gelaunt zur Arbeit zu gehen. Den letzten freien Tag habe ich auch super genutzt: ausgeschlafen, Kaffee getrunken, mir dazu ein Stück Schokolade gegönnt (wirklich nur ein Stück) und ein bisschen in mein Buch geschrieben. Doch diesen Morgen sollte das Ausschlafen ganz anders aussehen.

Um 6 Uhr in der Früh sprang ich aus meinen Federn, um innerhalb einer halben Stunde abmarschbereit zu sein. Schließlich wollten wir uns an diesem Feiertag um 7.30 Uhr in der Stadt treffen. Von dort ging es dann mit einem Trufi nach Tarata, ein kleines aber altbekanntes Dorf, welches ca. eine Stunde von Cochabamba entfernt liegt. Vor etlichen Jahrzenten ernannte der damalige Präsident Boliviens dieses Dorf zur Hauptstadt, er kam schließlich von dort. In Tarata angekommen machten wir uns fast unverzüglich zum außerhalb gelegenen Friedhof. Natürlich drehten wir eine runde um diesen bezaubernden Dorfplatzt der vor gigantischen Palmen fast überquoll. Auch probierten wir das örtliche Brot und ich muss ehrlich zugeben, dass ich hier noch nie so leckeres und vor allem sättigende Brötchen genießen konnte. Auf dem Friedhof packten wir dann Gitarre und Charango aus.

de Christoph Hanser
Doch wozu eigentlich das Ganze?
In Deutschland wird dieser Tag auch gefeiert, wenn auch kleiner und an einem anderen Datum. An El Dia De Los Muertos wird den bereits verstorbenen Familienangehörigen erneut Ehre erwiesen und für ihre Heiligkeit gepriesen. Zwar habe ich an diesem Fest noch nie in Deutschland teilgenommen, so denke ich aber trotzdem, dass dies in der bolivianischen Kultur weitaus anders verläuft. Bereits am Vortag laden die Familien alle Angehörigen und alle die interessiert sind ein, bei ihnen zu Hause ein Gebet für die Verstorbenen zu sprechen und dabei an dem Festmahl teilnehmen. Doch der Hauptteil fängt am eigentlichen Feiertag an. Hier werden bereits am frühsten Morgen, mit den ersten Sonnenstrahlen die Gräber hergerichtet. Unkraut wird verbrannt, Blumen in halbierten Plastikflaschen in den Grabhügel hineingesetzt und ein Tuch über dem Verstorbenen ausgebreitet, um darauf die äußerst leckeren masitos zu platzieren. Diese kleinen Brote und Gepäcke wurden schon seid circa einer Woche überall in der Stadt wie wild verkauft und schmecken wesentlich anders als normales Brot. Die verschiedensten Sorten bestehen aus Keksen, in Papier gebackenem Kuchen und Brot in Tier-, Mensch- und Kreuzform. Ein Kanister mit selbst gebrauter Chicha steht natürlich auch parat.

Die religiös begründete Idee dahinter besteht darin, dass an diesem Tag die Toten zurück auf die Erde kommen. Die Familien sorgen nun dafür, ganz nach der Idee, dass mensch für seine Heiligkeit etwas Gutes tun muss, dass wildfremde Menschen ein Gebet für die Toten sprechen oder auch einfach nur musizieren. Der Tote wird nun ähnlich wie in der katholischen Kirche bei der Beichte von seinen Sünden etwas befreit und wird ein Stück heiliger. Doch so wie es in den Wald hineinruft, schallt es auch heraus, muss die Familie im Gegenzug stellvertretend für den Verstorbenen dem Betenden etwas von den Köstlichkeiten anbieten. Laut bolivianischer Kultur kann solch eine Einladung auch nicht abgelehnt werden, was nur wirklich interessant bei dem massiven Chichakonsum interessant wird. Dieses Heiligung wird jedes Jahr durchgeführt, jedoch wesentlich ausgeprägter auf den Dörfern, als in den Städten.


Wir, ein wilder Haufen Freiwillige und Bolivianer, zogen nun über den Friedhof und bestaunten, das wilde Chaos, wie die Gräber angeordnet sind und zum Teil so schlecht gepflegt und zertreten wurden, dass sie fast unerkennbar waren. An dem großen gepflasterten Weg reihten sich große Mausoleen für ganze Familien an. Wie überall in Bolivien lässt sich der finanzielle Unterschied innerhalb der Gesellschaft auch hier gut erkennen. Manche Familien mit kapellenähnlichen Gräbern übersehen sie mit masitos, so dass mensch kaum noch etwas erkennt. Andere setzen wenige Pflanzen in eine Plastikflasche und können als Gegenleistung nur ein tränenunterlaufenes Dankeschön aussprechen. Manche Grabsteine bekamen einen neuen Anstrich (natürlich Farbe mit Latexmischung) oder auch eine Decke aus Blumen überzogen. Die Familien kamen nun auf die herumstromernden Fremden zu und fragen sie, wieviel sie für ihr Gebete verlangen. Ja richtig! Wieviel Geld wir verlangen, um für die Verstorbenen zu singen. Das ist Teil des Austausches. Wir entschieden uns sofort gegen jegliche Finanzierung, da wir mit unseren „Einkünften“ mehr als ein doppeltes Monatsgehalt beziehen. Doch in Bolivien können Einladungen nicht einfach ins Leere abgelehnt werden. Da wir uns sehr befremdlich dabei vorkamen, vor einem Grabhügel für eine fremde verstorbene Person zu musizieren, gaben wir stets an, dass wir als Bezahlung lediglich etwas über die Person wissen möchten. Obwohl in Bolivien der Gemeinschaftsgedanke, die Überlegung durch das Kollektiv zu größeren Zielen zu gelangen sehr stark ausgeprägt ist, fiel die Reaktion auf unsere Bitte sehr unterschiedlich aus. Manche Familien fingen fast bei der Geburt an und endeten bei der Erklärung des Familienstammbaums. Andere gaben nur das Todesjahr und den Familiennamen an. Da wir auch zwei Lieder aus Italien und Norwegen parat hatten, holten wir uns die Erlaubnis ein, auf einer fremden Sprache singen zu können und erklärten dabei auch den Inhalt. Im Anschluss wurden uns dann die leckeren masitos und/oder kübelweise Chicha angeboten -z.T. erneut auch Geld. Manchmal redeten wir während des Verzehrs und der dabei bedachten Tradition dessen noch ein wenig mit der Familie. Doch diese Geschichten bezahlten wir stets mit noch mehr Schalen Chicha, die wir trinken mussten. Ablehnen gibt es nicht, höchstens die Familie auch auf einen Trunk einladen. Zu der Chicha muss noch angemerkt werden, dass dies ein alkoholisches Maisgetränk ist, welches sich in dörfliche und städtische Chicha unterteilt. Erstere ist wesentlich purer gebraut und nicht noch extra mit Alkohol gepanscht, dafür aber vielleicht nicht sehr hygienisch wertvoll hergestellt.

Außerhalb des Friedhofes tobte das Leben. Ein Stand reihte sich an den nächsten und bot all mögliche Leckereien an: Von meinen geliebten Refrescos, über Eis mit Zimt- oder Milchgeschmackt (Eis aus reinem Wasser wird zerrieben und mit den genannten Geschmacksrichtungen engereichert), Nüssen, Süßigkeiten, Masitos, Blumen, Gebäck, bis hin zu gerngesehenen platos. Bier und Chicha fehlten natürlich nirgends. Hierbei möchte ich gleich die Gelegenheit nutzen und noch mehr kulinarische Spezialitäten erläutern. Churitos sind kleine würzige Würstchen und werden mit einem Salat und aufgekochtem Mais serviert. Chicha-Ron, das klassische Essen zu dem Getränk, besteht aus einem Allerlei des Schweins mit aufgekochtem Mais und kann getrost als eine verhältnismäßige teurere aber sehr leckere Mahlzeit bezeichnet werden. Wie schon mal erwähnt, wird in Bolivien alles vom Tier verwendet, auch die sonst in Deutschland fein säuberlich abgetrennte Schwarte. Hier wird sie so geröstet, dass sie wie Chickennuggets aussehen. Schmeckt schäuslich.

Da wir uns bei diesem Brauch sehr befremdlich vorkamen und auch nicht genau wussten, wie wir uns zu verhalten haben, suchten wir des Öfteren nach einer Runde über den Friedhof Zuflucht in just diesen Ständen und genossen das reichhaltige Angebot. Hinzukam, dass wir mit unseren kulturellen Unterschieden zu kämpfen hatten, da das Thema Tod in Deutschland nur innerfamiliär und tabuisiert behandelt wird. Hier springen Kinder über Gräber und sammeln für ein Gebet einen Sack voll masitos ein. Abseits dessen brachte jeder von uns auch ganz andere religiöse Hintergründe und Vorstellungen mit.


Nach reichlich Essen und Chicha begaben wir uns auf unseren Heimweg, erkundeten noch ein wenig Tarata, bemerkten, dass in dem ganzen Dorf das Bier aufgekauft war und es kaum noch Fahrgelegenheiten nach Cochabamba gab. Alle Trufis und Taxis, die ihren Weg am Dorfplatz vorbei bahnten, wurden innerhalb einer Sekunde von dreißig sehnlichst Wartenden überfallen. Irgendwann hielt ein leeres Taxi genau vor unserer Nase an und ließ insgesamt neun Leute einsteigen: zwei im Kofferraum, vier auf der Rückbank und zwei auf dem Beifahrersitz. Aber das ist noch lange kein Pappenstil. Ein anderes Taxi, normaler Fünftürer, verließ das Dorf mit 11 Mitfahrern. Da sich an der Mautschranke eine kilometerlange Schlange bildete kehrten wir auf der Autobahn ein kleines Stück um und düsten in der Finsternis über holprige Sandstraßen verfolgt von zwei weiteren Taxis. Selbst Rally-Autos würden hier ihren Spaß nicht finden, ich aber ein neues Abenteuer Boliviens.

Sonntag, 31. Oktober 2010

Raub

Im Nachhinein hört sich selbst für mich die Geschichte wie aus dem Lehrbuch an. Deswegen bitte ich dich um den Versuch, dich empathisch in die Situation hineinzuversetzen, um zu verstehen, wie es dazu überhaupt kommen konnte.

Nach der Arbeit fuhr ich wie gewohnt mit dem Trufi 010 vom Casa Coyera nach Hause, vollkommen versunken in meinen Gedanken ließ ich den Tumult der Großstadt an mir vorbeiziehen, ohne ihn wirklich zu bemerken. Meistens nutz ich die Zeit im Bus, um mich auszuruhen, die Arbeit zu reflektieren oder einfach irgendwelchen anderen Gedanken nachzujagen. Da der Trufi 010 direkt durch die Cancha (der große und äußerst chaotische Markt, auf dem alles Wünschenswerte angeboten wird) fährt, saßen wir dort im Feierabendverkehr bestimmt 15 Minuten fest. Nichts ungewöhnliches. Die pralle Sonne trieb mir Schweiß auf die Stirn. Danach führen wir weiter über die San Martin Richtung Stadion, wo ich dann endlich aussteigen kann. Doch bis dahin soll in diesem herrlich chaotischen Verkehr noch eine Menge Zeit verstreichen. Da zu dieser Zeit so gut wie alle nach Hause stromern, stiegen nun nach und nach immer mehr Leute ein und folgten der Stille der andere Passagiere. Ich überlegte, angeregt durch die lecker riechenden Backstände der Cancha, ob ich nicht gleich bei meiner Bäckerei vorbeigehe und endlich mal deren Süßigkeiten ausprobiere. Als wir dann am Plaza Colon voreigefuhren sind, sich der Verkehr aus seinem Stocken herauslöste, stieg zu guter letzt ein Mann ein, der hinter mir Platz nahm. Sofort tippte er mir auf die Schulter, um mir mitzuteilen, dass ich Dulce de Leche (karamellisierte Milch) im Haar habe. Die verstand ich zunächst erst falsch und dachte, dass er mich wie so viele andere bereits zuvor auf meine Dreads ansprechen möchte. Da er aus meiner Reaktion herausnehmen konnte, dass ich ihn nicht richtig verstanden habe, zeigte er auf die Wand neben mir, wo auch ein bisschen von dieser eigentlich leckeren Paste klebte. Ich fasste mir sofort ins Haar, wo mich ein riesiger Haufen -jetzt auch an meinen Fingern- begrüßte. Welches Kind hat da den sein Essen an die Wand geschmiert, dachte ich in meiner Verärgerung sofort. Aber gleich war ich zu Hause, um mich von meinem Glück zu befreien. Doch mit klebrigen kann ich nicht einmal mein Portemonnaie aus meiner Hosentasche holen. Somit fragte ich alle Anwesenden, ob sie Taschentücher bzw. Klopapier dabei habe. Der Mann, der mich auf diesen wunderbaren Klecks angesprochen hat, zog so allerlei aus seiner Hosentaschen: eine Tüte, Müll, Schrauben und Klopapier. Ich machte mich als daran, meine Finger zu säubern. Da die Straßen Cochabambas eigentlich immer dieses schöne deutsche Verkehrsschild „Achtung Straßenschäden und Bodenwellen“ verdienen, fuhren wir auch jetzt in ein Schlagloch, wodurch just der selber Mann seine Schrauben aus der Hand verlor und überall im Trufi verteilte, auch auf meiner Sitzbank. Ein Finger musste noch gesäubert werden, danach wollte ich ihm beim Einsammeln helfen. Doch ungeduldig wie er war, forderte er mich beständig auf, ihm endlich seine Schrauben zu geben. Die Erklärung meines Vorhabens sollte ihn aber auch nicht beruhigen, eher fing er an mich von hinten ein wenig zu wegzudrücken, damit ich aufstand. Der Mann neben mir wirkte von der Situation auch reichlich genervt und stand auch nur wiederwillig auf. Er beugte sich als über die Sitzbank über und sammelte alle Schrauben ein. Doch auf dem Fußboden selbst lag noch mein Beutel, denn ich lieber schnell wieder an mich reißen wollte, bevor noch etwas draus geklaut wird. Ich setzte mich mit meiner typischen Handbewegung, Hände auf die Hosentaschen legen, um zu kontrollieren, ob noch alles da ist, hin. Sofort merkte ich, dass mein Portemonnaie fehlt. Um sicher zu gehen, dass ich gerade in ein Ablenkungsmanöver geraten bin, vergewisserte ich mich, dass es auf meinem alten Platz nicht mehr liegt. Doch was soll ich jetzt machen? Die vier Herren, die sich alle um mich herum gesetzt hatten und für mich nun zusammen gehörten, direkt darauf ansprechen? Um die Aufmerksamkeit der anderen Passagiere sowie Fahrer für mich zu gewinnen, den Trufi anhalten und es ansprechen? Plötzlich sah ich, dass mein Portemonnaie perfekt neben der Sitzbank auf dem Fußboden lag, als ob jemand aufgeräumt hat. Zum Glück stellte ich fest, dass nur der 20Bs (ca. 2€) Schein fehlt, alles andere, was auch nicht wirklich ein Wert für einen Dieb hat, war noch da. Während all dessen stieg einer nach dem anderen an unterschiedlichen Stellen aus, so wie sie auch nicht zeitgleich zugestiegen sind. Ich überlegte noch, ob ich sie auf meinen Geldverlust ansprechen sollte? Beim herausgehen gab mir der letzte noch ein bisschen mehr Klopapier zum säubern. Die anderen Passagiere kommentierten nun direkt, wie clever der Plan durchgeführt war und erkundigten sich nach meinem Verlust. Ich antwortete kurz und musste nun aussteigen. Zum Glück war auch noch mein Kleingeld da, um den Trufifahrer zu bezahlen. Vor lauter Verärgerung kaufte ich mir jetzt erstrecht etwas Leckeres beim Bäcker. Nebst dem unangenehmen Gefühl wirklich immer ein wenig misstrauisch durch die Welt zu laufen, ärgerte mich am meisten, dass ich mir jetzt meine Haare waschen muss, die bis zu der Geburtstagsfeier meines Freundes nicht trocken sein werden.

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Cochabamba, die Stadt des Essens

Kulinarisch betrachtet schwimme ich in einem Paradies. An jeder Ecke verkauft eine Cholita ihre Leckereien. Mir wurde gesagt, dass es über den Tag hinweg fünfzig verschiedene traditionelle Gerichte gibt. Ja die Erfahrung musste ich schon recht früh machen, dass es diese leckeren Salteñas (Teigmantel gefüllt mit Fleischsoße, gibt es auch in scharf oder vegetarisch mit Ei) standardgemäß nur am Morgen gibt. Da ich aber am Vormittag immer im Init K’anchay arbeite, komme ich an diesen tollen Ständen in der Stadt nicht vorbei. Mich trieb schon die Angst, dass ich sie wohl so schnell nicht probieren dürfte. Mittlerweile habe ich schon mehrere gegessen und zudem rausgefunden, dass es auch versteckt Läden gibt, die die auch noch am Nachmittag verkaufen. Frisch gepressten Orangensaft gibt es zu jeder Tageszeit, dafür Biskuit mit Crememantel nur zum Frühstück. Am Nachmittag findet mensch dann vornehmlich Stände mit Nüssen und Samen, Popcorn (so wie in Europa oder auf bolivianisch –wer sich erinnert: es sind die von meiner Block-Party, hier bloß in allen Größen und Formen), Refrescos aus den verschiedensten Früchten, kleingeschnittene Ananas, Empanadas, Eis.

Natürlich wollen die Bolivianer zum Mittag auch richtig etwas essen. Hier fängt der Spaß erst an: Es gibt so viele verschiedene platos, dass ich sie bereits noch nicht einmal alle kenne. Wann immer ich mich mit Bolivianern über ihre Küche unterhalte, was erstaunlich oft und mit einer immer wiederkehrenden Begeisterung ihrerseits vorkommt, dann höre ich mir stets neue Gerichte an, die ich ausprobieren muss. All diese können nun zum Mittag an den verschiedensten Orten genossen werden. Grundsätzlich besteht das traditionelle Essen aus Fleisch mit Kartoffeln und Reis oder Nudeln, Gemüse wird z.T. auch dazugereicht. Die scharfe und sehr leckere Soße Llajua steht immer aufm Tisch. Diese Kombination findet mensch genauso in Suppen wieder. Das wirklich spannende und abwechslungsreiche befindet sich in der Zubereitung und dem Fleisch. Nach einer traditionellen Kochart wird Fleisch und Kartoffel im Erdboden über Nacht auf Kohlen gekocht: Pampaku z.B. Auch verschiedenste Soßen wirbeln die Dinge ein wenig auf: Sehr oft wird Hühnchen zum Kochen verwendet, in Kombination mit Kartoffeln und Reis bzw. Nudeln. Doch picante de pollo (übrigends sehr lecker) schmeckt ganz anders als plato pollo. Ersteres wir mit einer leckeren Chillie-Knoblauchsoße überzogen. Beim Zweiteren wird das Fleisch mehr oder weniger auf einem Grill frittiert.

Die Auswahl erscheint unendlich! Denn in Bolivien wird vom Tier alles verwertet. Wo die deutschen Lebensmittelkultur lieber nichts von wissen will, wird hier als ganz klassisches Essen propagiert. Sopa de lengua (Suppe der Zunge) heißt so, weil sie mit Kuhzunge zubereitet wird, das Fleisch schwimmt dann natürlich auch in der bestellten Schüssel. Füße, Köpfe, Augen, Bauch, Euter, Wirbelsäule, Rippen, Nacken und was weiß ich nicht noch, was es alles am Tier zu verwerten gibt, kann hier offensichtlichst aufm Markt gekauft werden oder in schon klassischen Gerichten probiert werden. Weggeschmissen wird hier wirklich nichts. Die deutsche Lebensmittelindustrie wirft auch nichts weg, vermarktet dies nur wesentlich versteckter in zum Beispiel leckeren, tiefgefrorenen Chicken-Nuggets, Fischstäbchen, bereits panierten Schnitzeln oder für Tierfutter. Doch auf dem Teller liegt am Ende irgendwie immer ein Filet oder ähnliches. Ein Hühnerkopf sollte aber eher nicht in der Suppe schwimmen.

Zum Abend hin ändert sich die Szenerie nur ein wenig: Die Saftstände werden durch Hamburguesa-Stände ausgetauscht, Grills platzen vor Fleisch bald über, als auch vor Leuten. Ich merke dabei immer, wie sehr die Cochabambinos ihr Essen mögen. Nicht nur zum Mittag wird ordentlich etwas verputzt, nein auch am Abend -in den altgewohnten Kombinationen. Hunger muss ich hier wirklich nicht leiden, da es zum einen überall etwas zu Essen gibt und zum anderen die Preise eher verwundern sollten. Eine riesige Mahlzeit (reicht bei normalem Hunger für zwei Personen) kostet in der Universität zum Beispiel gerade einmal 10 Bolivianos (ca. 1€). Wer nicht ganz so lecker essen möchte, bekommt die gleichen Gerichte auch noch günstiger zu kaufen, was dann z.T. bis unter 5 Bs geht.

Ein weiterer Verführender Faktor ist, dass einem das Essen oft herangetragen wird. Oft gibt es, vor allem nachts, Cholitas, die mit ihrem Bachladen rumkommen und ihre Leckereien anbieten. Tagsüber treten diese auch in den Bus ein, vor allem auf der Cancha. Eis-, Refrescosverkäufer und vieles mehr stromern zudem auch durch die Stadt.

Meine Mentorinnen hatten recht: Cochabamba ist die Oase des Essens.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Mein Arbeitsalltag Teil I

Mein Arbeitsalltag unterteilt sich in den Vor- und Nachmittag. Jeden Morgen steh ich um 7 Uhr auf, trink einen organischen, in Bolivien fair hergestellten Kaffee, schreibe ein wenig in meinem Buch, um dann um 18.15 Uhr das Haus zu verlassen. Da momentan noch das Projekthaus von Inti K’anchay sehr weit draußen in der Stadt liegt, zieht sich dementsprechend die Busfahrt hin. Da ich mir aber vorgenommen habe, mein Spanisch durchs Zeitunglesen aufzubessern, lese ich meistens in meiner Le Monde De Diplomatique -versteh momentan aber leider nur die Hälfte. Um 9 Uhr öffnet dann ein Mitarbeiter die Tür und lässt alle eintreten. Teewasser wird aufgesetzt, manchmal die Brötchen für alle mit Butter, Dulce De Leche oder Marmelade bestrichen. Da Inti K’anchay Kinder und Jugendliche im Schulalter betreut, wurden zwei Altersstufen eingerichtet. Die niños sind auf dem gleichen Grundstück in einem kleinen abgesonderten Haus untergebracht, die adolecentes vergnügen sich tagtäglich im Haupthaus, wo auch Küche, Büros, Bad und Kammer liegen.

Gefrühstückt wird jeweils in den Altersgruppen. Spannend für mich ist hierbei, dass vor jeder Mahlzeit von einem Jugendlichen ein Gebet gesprochen wird. Dies hat nicht unbedingt etwas mit Religiosität zu tun. Es gehört konzeptionell festgelegt zu dem Re-Strukturierungsbereich und den Ritualen. Es wird nur freiwillig gesprochen. Nach dem Frühstück mit dem für Europäer übersüßten Tee und einem Brötchen pro Person, wird grundsätzlich Raum und Unterstützung für Hausaufgaben gegeben. Zudem kommen wöchentliche eine Mathematiklehrerin, ein Tai-Chi-Meister und ein Englischlehrer (ein berenteter Englischlehrer aus Norwegen, der hier auch einen Freiwilligendienst leistet)ins Projekt, um zusätzliche Unterstützung anzubieten. Darüber hinaus werden öfters Thementage zu den unterschiedlichsten Bereichen durchgeführt. Worauf diese speziell abzielen erkläre ich gleich noch. Gegen zwölf ist die Köchin meistens mit dem Essen soweit, dass aufgetischt werden kann. Da doña Vicenta durch die schieren zuzubereitenden Essensberge nicht in der Lage ist, diese alleine zu kochen, helfen ihr dabei täglich Jugendliche. Natürlich müssen sie manchmal erst zu dieser schönen Aufgabe geführt werden. Nach dem Essen werden die vorher durch ein Zufallsprinzip ausgelosten oficios verteilt. Denn jeden Tag wird zum Abschluss das gesamte Haus geputzt. Wer seine Aufgabe gewissenhaft erledigt hat, bekommt sein Fahrtgeld zur Schule ausgehändigt. Hierbei muss Mensch wissen, dass die bolivianischen Kinder nur halbtags und zwar am Nachmittag zur Schule gehen. Deswegen hört für mich der erste Teil meines Arbeitstages um 1 Uhr auf.

Doch worauf legt Inti K’anchay seinen Fokus? In dem Gespann von Unterprojekten innerhalb der Fundacion Estrellas en la Calle, die aus der Arbeit direkt auf der Straße (Coyera), einem Kindergarten (Fenix), den Besuchen von ehemaligen Straßenkindern, gefährdeten Familien oder Angehörigen (Wiñana), der Koordination im Büro sowie richtigen Arbeitsstellen bestehen, übernimmt Inti K’anchay die Präventionsarbeit. Die Zielgruppe besteht aus Kindern und Jugendlichen, die in dem Sinne in gefährdeten Situationen leben, in denen sie Destrukturierungs- und Entpersonalisierungsprozesse erleben müssen/mussten, wodurch zudem die Gefahr bestehen kann, dass sie auf der Straße leben werden. Natürlich arbeiten wir auch mit der poblacion, die die Straße bereits verlassen hat. Durch, für bolivianische Verhältnisse, zeitgebundene und feste Tages- sowie Wochenabläufe soll den Jugendlichen die Möglichkeit geboten werden, ihre Fähigkeiten und Talente zum einen zu entdecken und zum anderen auszubauen. Gleichzeitig können sie alte und für sie schädigende Verhaltensweisen durch förderlichere austauschen. Ihr familiärer Hintergrund soll hierbei kein Hindernis darstellen, weswegen sie im Projekt alle benötigte Unterstützung bekommen, um aus eigener Initiative heraus ihr Leben so zu gestallten, dass sie nicht auf der Straße leben müssen. Dadurch spielt die Integration in das Schulsystem eine besonders wichtige Rolle. Doch auch andere Themen wie Gesundheit, Psychologie, Sport (Kraft/Energie), Hygiene, Sexualität, Recht und Freizeitgestaltung bilden eine Arbeitsgrundlage. Das schwierige für die Mitarbeiter ist es hierbei stets zu erkennen, dass durch den präventiven Charakter der Arbeit Problemfelder nicht direkt und sofort sichtbar sind. Die Jugendlichen wirken im Vergleich zur Straße unbefleckt und einfach. Doch nichts desto trotz darf sich niemand zurücklehnen und seinem Laisse-faire-Stil frönen, denn wir arbeiten immer noch mit eine gefährdeten Zielgruppe.

gewohnt anders

Der Alltag hat nach bereits fünf Wochen Einzug gehalten. Heute Nachmittag sollte ich für die Fundacion hilfsweise zwei Schweizerinnen, die auf der Suche nach unterstützungswerten Projekten sind, übersetzen, was das Projekt Coyera versucht zu realisieren. Auf dem Heimweg erzählte ich ihnen noch ein wenig mehr über Cochabamba und die Fundacion Estrellas en la calle. Dabei viel mir zum einen auf, wie selbstverständlich für mich die Kommunikation auf Spanisch geworden ist, wie relativ einfach mir die auch mittlerweile fällt. Zum anderen wollte ich nach der Arbeit selbstverständlich Obst auf dem Markt kaufen. Supermarkt? Brauch ich nicht! Das kann ich auch alles inmitten von Obstbergen besorgen. Das mich dabei der Anblick von z.B. früher befremdlich anmutenden Fleischbergen, Hühnerfüßen und –Köpfen nicht mehr störte, viel mir erst später auf. Natürlich hielt ich im Anschluss Ausschau nach dem abends stets überfüllten Trufi 110, stieg nach ein wenig Wartezeit, gespickt mit an mir vorbeibrausenden und mich anhupenden Taxis schließlich ein, atmete die gewohnt verpestete Abgasluft ein, sagte dem Fahrer, dass ich jetzt hier am Kreisverkehr aussteigen möchte.

Alles erschien mir daran normal.

Selbst das Geld erscheint mir mittlerweile wie eine Währung, nicht mehr wie Papier, dem ich kein Wert zuschreiben kann. Meine Arbeitsroutine, mein Arbeitstagsablauf erscheint mir gewöhnlich. All den Dingen schenk ich heute kaum noch Gedanken der Extravaganz. Meine Kleidung läuft bald aus, habe ich morgen genug Zeit mich ans Waschbecken zu stellen und sie zu schruppen? Vielleicht halt erst übermorgen.

Zum Glück resultiert diese Sicherheit nicht in Langeweile, denn aufregend bleibt jeder Tag vom Neuen. Ich entdecke noch immer neue Dinge. Nur die bereits oft erlebten Aspekte formen meinen Alltag. So wie ich ihn Berlin stets mit der Ringbahn irgendwo hingefahren bin, steig ich an jeder beliebigen Ecke in ein Trufi, versuche möglichst wenig Münzen auszugeben, Kaufe alles auf dem Markt, springe fast lebensmüder über die Straßen, lass mich von Taxi- sowie Trufifahrern durch Anhupen von Zeit zu Zeit zum Mitfahren überreden, spring gekonnt über den Hundekot im Treppenhaus, genieß die Aussicht meiner Terrassenwohnung beim Waschen, genieße Essen aus Plastiktüten und staune kaum über den Zuckergehalt von Lebensmitteln.

Gewohnheit regiert die Welt.

Samstag, 2. Oktober 2010

Gewalt gehoert einfach dazu

Wo Worte aufhören, fängt Gewalt an. Welch ein Erlebnis! Bis jetzt hatte ich stets den Eindruck, dass die Straßenkinder ein schlechtes Leben führen, es trotzdem aber positive Dinge gab, die mich zum Teil überraschten, dass sie existieren und mich manchmal vergessen ließen, in welch schlechtem Zustand sie sich wirklich befinden. Doch heute wurde ich wachgerüttelt! Eine andere Organisation, die sich auch mit Straßenkindern beschäftig, organisierte ein Fußballturnier zwischen mehreren Teams von Straßenkindern und anderen Kindern. Dies war daran zu erkennen, dass die Nicht-Straßenkinder einfach hochpolierte Nike-Fußballschuhe und Trikots ohne Löcher und strahlender Farbe trugen. Welch eine schöne Idee, verschieden Milieus über Fußball für einen Nachmittag zusammenzubringen. Die Teams wurden organisiert und spielten in zwei Halbzeiten á 15 Minuten gegeneinander. Für Zuschauer war auch gesorgt, indem der Wettstreit auf einem Fußballplatz in der Nähe vom Fluss/Bach stattfand, an dem sehr viele Staßenkindergruppen wohnen. So war außerdem sichergestellt, dass diese auch teilnehmen werden und es nicht vergessen konnten. Mir offenbarte sich ein schon sehr bizarres Bild von Unmengen an Kindern aus verschiedensten Milieus und den dazugehörigen Mitarbeitern verschiedenster Organisationen. Diese Kollegen waren auch sehr einfach an ihrer hellen Hautfarbe zu erkennen, die einfach überwog.

Die Fundacion „Estrellas en la calle“ wahrt den Grundsatz, dass die Kinder während der Aktivitäten keinen Kleber oder sonstige Drogen konsumieren dürfen. Dies wird auch äußerst konsequent durchgesetzt, indem die Kleberflaschen (vuelos) vor jeder Aktion mit Namen versehen in einer Tüte eingesammelt werden und später wieder ausgeteilt werden, wenn uns die chicos daran erinnern. Dieses Vorhaben bedeutet für uns Mitarbeiter stets viel Anstrengung, verortet sich aber im Grundkonzept jeglicher Arbeit mit den Jungs und Mädels. Hierbei geht es nicht nur um Anti-Drogen-Arbeit sondern auch um Respekt, Steigerung der Aufnahme- sowie generell der Leistungsfähigkeit. Dies kann nicht bei allen Organisationen beobachtet werden. So kam es, dass extrem viele Jugendliche konsumierten, auch wenn ihre educadores neben ihnen saßen oder mit ihnen sprachen. Dies erschwerte es natürlich für uns ungemein, den Konsum unserer Gruppe für die Dauer des Turniers zu unterbinden. Die chicos suchten immer wieder alte Flaschen aus dem Flussbett, um an ihnen schnüffeln zu können.

Obwohl sie eigentlich sehr gut Fußball spielen können, siegte die andere Mannschaft. Die war in ihrer Spielweise wesentlich offensiver bis hin zu aggressiver. Da ich während des Spiels auf die Habseligkeiten unsere Jungs aufpasste, nahm außerdem die Gelegenheit war, zum einen in Kontakt mit den Jungs zu kommen und zum anderen das allgemeine Geschehen zu beobachten. Dabei bot sich mir der schon oben beschriebene Eindruck zum Konsum, aber auch ein Bild der permanenten Gewalt. Ständig konnte ich irgendwo neue Rangeleien bis hin zu ernsthaften Schlägereien beobachten –letzteres weitaus öfter. Woran mach ich dies fest? An dem Grad der Gewalt. Oft wurden Kleberflaschen untereinander entwendet, was zu Verfolgungsjagden, Androhungen von Steinwürfen, Drohgebärden im Allgemeinen und kurzen Handgreiflichkeiten führte. Diese Bild änderte sich aber allzu oft in ernsthafte Faustkämpfe und Steinwürfe. Da der Kleber die Motorik extrem stark einschränkt, droschen die Jugendlichen zwar anscheinend ohne Rücksichtnahme oder Zurückhaltung auf einander ein, trafen dafür aber nur sehr selten. Zum Glück war unsere Gruppe bis dato damit nicht konfrontiert worden.

Das Turnier war vorbei, ein großer Topf mit refrescos (allgemein ein Erfrischungsgetränk) herangekarrt, aus dem sich jeder ein Becher abschöpfen durfte. Dies ging wie gewohnt nicht ohne Drängeleien und Rangeleien von statten. Unsere Gruppe stand mitten in diesem Tumult, trank und machte sich auf den Weg. Wir standen auf, um mit ihnen den Platz zu verlassen. Plötzlich sahen wir einen unserer Jungs in einem Faustkampf verwickelt. Obwohl er beständig dem anderen nach hinten entwich, ließ er Salven von Faustschlägen ab, von denen keine traf. Einer unserer Mitarbeiter Gabo hielt irgendwann seine Hand dazwischen und forderte eine Ende -basta! Wir setzten unseren Weg nach diesem Zwischenfall fort. Doch Pustekuchen. Der andere Junge kann erneut angestürmt und stürzte sich auf ihn, doch diesmal folgten ihm weitere Jugendliche, die sich an die Restlichen der America-Gruppe zu schaffen machten.

Den Grund dieser Schlägerei konnte ich bis heute nicht herausfinden. Im Team haben wir vermutet, dass es auch keinen wirklichen Grund, außer dem Markieren von Respekt und Rangzugehörigkeit, gab. Vielleicht ist dies auch ein Ausdruck für fehlende Sprachkompetenzen. Nichts desto trotz war jetzt unser aller Eingreifen gefordert, um schlimmeres zu verhindern. Dazu muss gesagt sein, dass wir nur so eingreifen, indem wir unseren Arm zwischen die Streitparteien halten und ein Ende fordern. Denn es darf nicht vergessen werden, dass bei solchen Prügeleien andere Werte- und Normensysteme greifen, die vielleicht auch auf Gewaltausübungen zugeschnitten sind. Wer dabei Unterstützung durch vielleicht einen gringo (weiße Menschen) bekommt, verliert sofort seinen Kampf um mehr Anerkennung bzw. Respekt. Zudem stellt sich keine Achtsamkeit und geringere Skrupellosigkeit ein, nur weil wir Mitarbeiter dazwischen stehen. Trotzdem müssen wir versuchen schlimmeres zu verhindern.

Als größtes Problem gestalteten sich die immer wiederkehrenden Angriffe, von oft auch ganz anderen Personen, die am Anfang noch gar nicht dabei waren. Unser Abgang vom Platz zog sich in die Länge, da wir beständig aufgehalten wurden. Auf dem Bürgersteig angekommen konnten viele Jungs bereits Abstand zu den Angreifern gewinnen. Diese nahmen nun Steine von der aufgebrochenen Straße. Unterlieg aber nicht dem Trugschluss, dass es sich hierbei um kleine Steinchen handelt, wie mensch es vielleicht aus Deutschland gewohnt ist. Nein! Mehr als Faustgroße Hinkelsteine wurden hier mir aller Wucht losgeschleudert. Ein Wunder, dass die bei der Entfernung überhaupt trafen. Ein anbrausender Stein sollte den Kopf des einen chico eigentlich knapp verfehlen, dieser drehte seinen Schädel jedoch genau unpassend nach hinten um. Der andere wurde leider zielgerichtet oberhalb der Schläfe getroffen. Ich könnte nach solch einer Erschütterung und den Schmerzen nicht weiterlaufen. Durch unser Zutun konnten wir zum Glück die große Mehrheit an Würfen unterbinden.

Reichlich Blut floss, viel Aufregung folgte, ich verstand die hiebbeliege Sprache der Straßenkinder nicht mehr. Nach einer kurzen Schreckminute brüllten sie nach ihren vuelos und konnten nicht einmal mehr abwarten, bis ihre Flasche aus der Tüte gezogen wurde. Ich wurde fasst überfallen, denn die Jungs rissen mir einfach jede Flasche aus der Hand, ohne irgendeinen Namen zu beachten. Nun schnüffelten sie pausenlos, sprangen hin und her, konnten kaum stillstehen und riefen wild durcheinander. Hat ein kostenloser Arzt der Franziskaner eigentlich am Freitagnachmittag noch offen? Dies galt es zunächst zu klären. Inzwischen kam Oscar, der Chef von coyera, sammelte die Jungs im Auto ein und fuhr zu den Franziskanern. Vorher versuchte er noch die beiden am offensichtlichsten betroffenen Jungs zu untersuchen, die konnten aber kaum still stehen, geschweige denn irgendetwas beschreiben. Da nicht alle ins Auto passen, begleiteten wir die Unversehrten, bis diese sich recht schnell entschieden von uns verabschiedeten. Die Geburtstagsfeier von der Chefin des Kindergartenprogramms Fenix wirkte danach sehr unpassend und bizarr.

Donnerstag, 30. September 2010

Hochzeit auf bolivianisch


Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mir aus eigenem Antrieb ein Hemd gekauft! In Bolivien geht mensch dazu aber nicht in ein vornehmes Geschäft, sondern in den chaotischsten Markt Cancha. Hier kann alles gekauft werden: Von Klamotten, über Hundefutter, Hygieneartikel, bis hin zu Lebensmittel aller Art. Die Cancha erstreckt sich über mehrere Häuserblocks und nur Einheimische wissen, wo sich was befindet. Jeder Neuzugang verliert sich hoffnungslos in den unüberschaubar engen Gängen. Hier fand ich jedenfalls mein schwarzes, kurzärmeliges Hemd. Zum Glück wurde ich bei der Suche von der bolivianischen Freundin meines Mitbewohners unterstützt. Denn sonst käme ich bestimmt ohne Hemd nach Hause, da mich das Suchen und Verhandeln bereits wieder genervt habe. Zum Glück werde ich durch diesen Umstand mein Geld nicht für Kleidung ausgeben, sondern eher für Reisen o.ä.

Doch zurück zu dem Grund, warum ich mich in dieses Chaos freiwillig stürzen wollte: Eine Mitarbeiterin feierte am Wochenende ihre Hochzeit in einer nahegelegenen Provinz Cochabambas. Um genau zu sein in Cillacollo. Da hierzu die ganze Fundacion „Estrellas en la calle“ eingeladen war und solche Festlichkeiten traditioneller Weise drei Tage andauern, konnte ich mich auch nicht in „einfacher“ Gaderobe im Hintergrund verstecken. Letztendlich hat mich das Hemd 40Bs (ca. 4€) gekostet. Da in Bolivien nicht alle Menschen für gewöhnlich ein Auto besitzen organisierte die Fundacion einen Treffpunkt am Büro, damit das Team im Pickup nach Cillacollo fahren kann. Was für ein Anblick: festlich gekleidete Menschen sitzen auf einem alten und halb kaputten Pickup und düsen über die Landstraße. Gurte und Helme? Weit verfehlt! Als wir bei der Kirche ankamen, ging gerade eine andere Hochzeit zu Ende. Bereits hier konnte ich erneut das bolivianische Chaos beobachten. Während das frisch getraute Brautpaar unter einem Reisregen hinausstolzierte wurden  bereits die Blumen, Kerzenständer usw. hinausgetragen, die neuen Gäste nahmen in der Kirche platz, Photographen suchten ihre Gelegenheiten, auf der Straße fuhren Taxis und Trufis mit einem Hupgebrüll vorbei. Irgendwann erreichte diesen Tumult das Auto für das neue Brautpaar Beatriz und Oskar. Ein Oldtimer ganz in Weiß, mit bolivianischem Fahrer in weißem Sakko und eine Bar für die Eheleute. Der Geistliche laß stupide aus seinem Buch hervor, wechselte chronisch seine Plätze, suchte oft erneut seine Zeile und verfolgte das traditionelle Ritual: Lange und für mich noch unverständliche Reden, gespickt mit Gemeinschaftsgebeten und Klängen der mexikanischen Musikgruppe (Oskar ist gebürtiger Mexikaner), der Mann überreicht der Frau als Versprechen für immerwährenden finanziellen Unterhalt symbolisch Münzen und eine Kette wird um beide Hälse gelegt. Zum Abschluss wird das Paar von den Frauen mit Reis beworfen oder bei persönlichen Glückwünschen wird der Reis einfach ins Haar geschmiert. Also nix mit teurer Frisur, denn die wird nur wieder gut gemeint zerstört. Vor ihrem Oldtimer finden die Eheleute einen für sie extra abgesperrten Bereich, in dem sie den ersten von vielen Tänzen hinlegen sowie auch ihr erstes Getränk zu sich nehmen. Die Gäste werden in gemieteten Bussen zu den Festräumen kutschiert, während der Sakkofahrer zu für das Paar bedeutsamen Orten in der Nähe fährt, damit dort Fotos geschossen werden können. In der Hochzeit des Chefs der Fundacion hat dies mehrere Stunden gedauert, so dass die Gäste irgendwann einfach schon mit dem Mahl anfingen. Von daher blieb es spannend, wann Beatriz und Oskar eintreffen werden.

Der Festsaal lag nur wenige Straßen weiter weg. Eine große Halle die Festlich geschmückt und vielen Tischen bestückt war, so dass in der Mitte eine Fläche zum Tanzen übrig blieb. Am hinteren Ende wurden kunstvoll mit Luftballons die Initialen der beiden in grün/weiß aufgehangen, daneben fand mensch eine zum Teil hängende Konstruktion für die vier Hochzeitstorten. Die Fundacion ließ sich an zwei Tischen nieder und begann recht zackig die Ron- sowie Sanganiflasche (bolivianischen Schnaps) zu öffnen.

 An dieser Stelle erscheint es mir wichtig zu erwähnen, dass ein starker aber gesittet-ritueller Alkoholkonsum hier typisch erscheint. Der Ritus fängt bereit im Keim an: Zu Einladungen erscheint der Besucher stets mit einem Gastgeschenk. Dazu eignet sich natürlich am besten eine Flasche Alkohol. Allein wird nie getrunken! Mensch schenke zunächst allen anderen Gästen ein, dann sich selbst. Bei jedem Schluck stößt mensch mindestens mit einer anderen Person ein, wenn nicht mit der ganzen Mannschaft. Bei zwei großen Tafeln kann dies aber auch bedeuten, dass ersten kontinuierlich angestoßen wird oder aber auch direkt zweimal hintereinander, da manche Gäste etwas verzögert mitbekommen, dass die Gläser gehoben wurden. Schenke nie dir selbst ein, denn du musst von einer anderen Person eingeladen werden, die durch Empathie wissen muss, welches Getränk du jetzt zu dir nehmen möchtest. Bei kleineren Runden schenkt immer die gleiche Person ein, bis sie ihre Aufgabe abgibt. Einladungen können selbstverständlich nicht abgelehnt werden. Wer angibt, dass er lieber mehr von dem Mischgetränk (z.B. Saft oder Limonade) zu sich nehmen möchte, wird mit einem freundlichen bis hin zu z.T. spöttischem Lächeln ignoriert. Dies erscheint vielleicht furchtbar kompliziert und als komplexer Verhaltenskodex, doch im Grunde wird nur Achtsamkeit für seine Mitmenschen, Gemeinschaft und Fürsorge verfolgt. Deswegen fällt mir die Umstellung auf solche Sitten nicht schwer.

Doch zurück zum ersten Festtag. Das Brautpaar ließ zum Glück doch nicht lange auf sich warten und betrat den Saal mit einem tosenden Applaus aller Gäste und ordentlich zackiger Musik der Liveband. Da Tanz in Bolivien zu einem festen Bestandteil aller Festlichkeiten gehört, mussten die beiden auch sofort einen gemeinsamen Tanz hinlegen. Dabei wurden alle traditionellen Tänze durchgegangen. Anschließend mussten die Partner jeweils mit der engsten eigenen Verwandtschaft und der des anderen tanzen. Zwischendrin reichte der Kellner stets ein Erfrischungsgetränk -Bier natürlich. Während dessen fanden wir heraus, dass heute Abend kein Essen serviert wird, sondern erst morgen. Da wir aber alle auf ein gewohnt gigantisches Festmahl eingestellt waren, quälte uns bereits der Hunger. Die tonnenweise aufgedeckten Chips konnten dem nicht entgegenhalten. Zum Glück lag eine Tür weiter eine kleine Imbissbude, in der wir uns sattessen konnten. Der weitere Verlauf des Abends war recht simpel strukturiert. Getrunken wurde pausenlos und ansonsten wechselten sich Tanz- mit Ausruhsequenzen ab. Wie bereits angesprochen, wird hier das Tanzbein ständig geschwungen, jedoch mit einigen Besonderheiten. Grundsätzlich verfolgt mensch hier die Idee des Paartanzes (wobei ich auch schon mehrfach zwei Frauen miteinander tanzen sehen habe). Da diese Saal den entsprechenden Platz liefern konnten, wurde die zweite grundsätzliche Idee auch verfolgt: Paartanz in Reihe. Sprich, es stehen sich zwei Reihen an Tanzpartner gegenüber, dir mehr oder weniger die gleichen Bewegungen vollziehen. Denn Bolivien bietet eine Menge traditionelle Tänze an, dir allgemein in ihren Schritten bekannt sind, jedoch nur auf einem Basislevel. Was für mich nichts desto trotz bereit extrem schwierig ist, da ich die Tänze noch nicht raushören kann, als auch mir die passenden Schritte gemerkt habe. Doch als Europäer wird mir das unterstützend verziehen und lerne damit bei jeder Feier immer mehr dazu. Grundsätzlich muten die Schritte immer sehr an Salsa o.ä. an. Damit die Menge nicht verdurstet kommt immer mal wieder ein Kellner mit einem nach der Farbe zu urteilen giftig wirkenden und alkoholischen Erfrischungsgetränk rum.

In den Ruhepausen werden dann die Chips mit Rum oder Sangani runtergespült, geplaudert, zaghaft versucht manch zu stark alkoholisierte Mitmenschen (z.T. auch Freiwillige) auszubremsen, gelacht, Fotos geschossen. Der Pickup sollte uns zum Glück mit einem verantwortungsvollen Fahrer, der den ganzen Abend kein Alkohol zu sich genommen hat, wieder in die Stadt bringen. Als wir gerade aufbrechen wollten, wurde jedoch die Torte angeschnitten, welche extrem süß aber lecker war. Denn die einzelnen Lagen bestanden nicht aus chemischer Creme, sondern aus ordentlichen und geschmackvollen Bestandteilen. In alter Tradition ging es auf der Ladefläche zurück in die Stadt. Zudem ist es hier so üblich, dass mensch sich gegenseitig nach Hause begleitet, um sicher zu gehen, dass auch jeder ohne Zwischenfälle dort ankommt. An normalen Abenden wird dafür ein Taxi zusammen genommen, welches dann alle Häuser abfährt. An diesem Abend fuhr Oscar jeden vor die Tür und wartete natürlich solange, bis das Schloss wieder zugeschnappt hat. Wenn ich manchmal nachts ankündige, dass ich zu Fuß alleine nach Hause gehen werde, weil ich relativ nahe wohne, werde ich entsetzt angeschaut und förmlich angefleht mit in das Taxi zu steigen. Sollte ich aber auch kein Geld mehr haben, um etwas dazu zu geben, stört das niemanden, eher sind alle froh, dass ich zur Vernunft gekommen bin und mit dem Taxi mitfahre.

Die Party geht weiter, und mensch sollte nicht denken, dass dies in weniger heftig abläuft nur weil Sonntag ist und morgen früh alle arbeiten müssen. Mir wurde erklärt, dass Bolivianer einfach nicht wenig trinken können. Ganz nach dem Motto: Alles oder gar nix. Diesmal trafen wir uns in der Stadt, um anschließend gemeinsam in zwei verschiedenen Trufis loszufahren, jedoch mussten wir insgesamt 90min warten, bis alle am Treffpunkt eingetrudelt waren. Wir verabredeten uns schließlich zu um 6 nach bolivianischer Uhr, da kommt so etwas schon mal vor, zum Leidtragen alle peniblen Deutschen. Ich dachte ja, dass heute Abend vielleicht nur Bier auf den Tischen stehen wird, anstelle der Liköre, doch weit verfehlt. Heute gab es wieder beide hochprozentige Getränke plus Unmengen an Bier. Wieder musste das Ehepaar etliche Tänze durchgehe. Diesmal aber nur Wienerwalze im Wiegeschritt des langsamen Walzers. Anschließend wurden die Geschenke von den einzelnen Freundesgruppen bzw. Familien hereingetragen. Dabei handelte es sich stets um Haushaltsgeräte. Mir wurde verraten, dass es üblich ist, dass das frische Ehepaar Geschenke für ihr neues Heim im Gegenwert ihrer Feier überreicht bekommt. Deswegen stand am Ende der Zeremonie auch eine ganze Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer in der Halle -vom Design her bundgemischt. Welch ein herrliches Festmahl! Gewohnt riesige Portionen aus gebackenem Käse mit Reis, Kartoffeln, Remoulade, zwei Steaks und einem Nudelsalat. Beim Essen wird eher weniger gesprochen, da alle damit beschäftigt sind, den Essensberg in sich hinein zu spachteln. Unterhaltungen können ja schließlich auch anschließend mit einem Bierschwall vorgesetzt werden. Natürlich tanzten, tranken und lachten wir auch wieder viel. Nur das Ehepaar verfiel ein wenig in Stress, denn sie mussten nun an jedem Tisch rumgehen und mit ihren Gästen anstoßen. Dazu wurde jeder Tafel ein Kasten Bier gereicht. Selbstverständlich stieß jeder mit ihnen freudigst an und forderte, dass die beiden ihr volles Glas auf einmal austranken. Welch ein Durst braucht das Paar bei mehr als 20 Tischen? Die Müdigkeit vom Vortag waren irgendwann allen anzusehen, trotzdem getraute sich niemand so recht, den Abend für sich zu beenden, bis schließlich gegen kurz nach Mitternacht endlich der gemeinsame Entschluss gefasst wurde, loszugehen. Bis sich aber alle ausgekäst hatten, dauerte dies natürlich noch ein wenig.

Alle guten Dinge sind drei! Doch diesmal nicht für mich. Nach der Teamsitzung am Montag besprach ich mich noch mit meinem Mitbewohner Johannes und einem Freund von der Arbeit, ob wir hinfahren würden. Später am Abend entschlossen wir uns dann dagegen, da wir alle vom Wochenende sehr erschöpft waren und morgen schließlich auch wieder arbeiten müssen. Doch ich bin mir sicher, dass es an diesem Abend wieder reichlich Bier, Rum und Singani, gemischt mir einem Festmahl und reichlich vielen Paartänzen in Reihe gegeben hätte. Was mich erstaunte, war, dass die Braut bereits nach einem freien Tag nach ihrer Party auf Arbeit erschienen ist. Anscheinend geht es hier nicht direkt nach der Hochzeit in die Flitterwochen.

Sonntag, 12. September 2010

Erste Eindruecke

Mein erster Tag: Am Donnerstag wurde ich gefragt, ob ich nicht Lust hätte am Freitag direkt mit Johannes arbeiten zu gehen. Fußball stünde auf der Tagesordnung. Klar, deswegen bin ich doch hergekommen. Am Abend wurde ich dann gefragt, ob ich nicht mit tausenden (Kultur)Eindrücken überrannt sei. Doch fangen wir von vorne an: Mein erstes Frühstück genoss ich mit einem traumhaften Ausblick auf die Stadt und das Wahrzeichen EL CRISTO auf der Dachterrasse. Anschließend gingen wir los, streckten an einem chaotisch überfüllten Kreisverkehr die Hand heraus, um in ein besagtes Truvi der Linie 110 einzusteigen. Truvis sind so umgebaute, normale Autos, dass möglichst viele Menschen in ihnen Platz haben, sie sich aber trotzdem durch ihre kleine Größe bequem im Straßenverkehr zurechtfinden. Combis oder Kleinbusse sind hierfür sehr beliebt, zum Teil aber auch normale Fünftürer. Doch jetzt die spannende Frage: Wie viele Menschen können in einem Kleinbus transportiert werden, inklusive Gepäck? In Deutschland überstiege diese Anzahl nicht den einstelligen Bereich. In Bolivien sprechen wir hier von bis zu zwanzig Menschen, wenn nicht noch etliche auf dem Dach Platz finden sollten. Dies konnte ich jedoch nur einmal beobachten. Diese kleinen mit Menschen verstopften Tanker düsen dann durch die Stadt, folgen ihrer Route, die Mensch nach einer Zeit kennt und lassen einen rein und raus, wann immer Mensch möchte. Für ganze 15Cent kann ich diesen Zirkus miterleben.


Nach dem wir ausgestiegen sind, kreuzten wir Straßen, bei denen ein dt. Verkehrspolizist Suizid begehen würde oder einfach überfahren werden würde. Vom Büro der Organisation „Fundacion Estrellas en la calle“ aus fuhren wir in einem PickUp zu einer Straßenkindergruppe, um sie mit zum Fußball zu nehmen. Diese Gruppe verdient Geld durch Scheibenputzen an der Avenida America. Dort holten wir sie ab, indem sie einfach aufsprungen, immer wieder anhielten, damit auch die Hunde einsteigen können. Doch wo sollen ca. 15 Kinder, 4 Hunde und 7 Mitarbeiter in einem PickUp Platz finden. 5 vorne und der Rest hinten auf der Ladefläche. Beim Fußballspielen auf dem Sandfeld merkte ich zum ersten Mal die Höhenunterschiede zu Deutschland, denn bereits nach 15min recht aktiven Spielens musste ich durchatmen und immer öfter Pausen einlegen. Als der schon eh sehr lädierte Fußball platzte, fing ein Freiwilliger mit ein Paar Übungen in Capoeira an. Anschließend fuhren wir durch die Stadt zu einem Markt um Essen zu kaufen. Nach einer weiteren Fahrt zu einem Park wurde Suppe, Brot und Saft verteilt und zunächst eine Danksagung fürs Essen gesprochen und, jeder der wollte, konnte Niko mit einer Dankesrede nach Deutschland veranschieden. Doch jetzt kommt Pointe: Während wir da z.T auf der Bank sowie dem Straßenboden saßen, aßen wir die Suppe und den Saft aus normalen Plastiktüten. Von den Jungs schaute ich mir ab, wie Mensch eine heiße Suppe aus eine dünnen Plastiktüte isst. Der obere Knoten wird weiter nach unten versetzt und in eine Ecke ein Loch gebissen. Anschließend muss die Suppe nur noch durch dieses Loch geschoben/gesaugt werden.

Nachdem die Jungs nach Hause oder zur Avenida America gebracht wurden, fuhr ich mit einem anderen Freiwilligen Metteo und Oskar, dem Projektleiter für Coyera zu dem Büro des Projekts Coyera. Dieses wird zurzeit noch zu ende gebaut und liegt in einem sehr verarmten Stadtteil. Sandstraßen, Straßenhunde, überall rumliegender Müll, Toilettenabwasser, Lehmhütten und einfachste Häuser bilden hier eindeutig das Straßenbild. In dem Projekthaus räumten wir dann einen Raum auf, damit dieser ab sofort genutzt werden kann.

Abends kamen dann zwei Mitarbeiter bei uns zu Hause vorbei. Dort tranken wir zunächst ein bisschen bolivianisches Bier, lernten viel über bolivianischen Gewohnheiten: Zunächst wird eine Art Gastgeschenk mitgebracht, möchte ich mir Bier nachschencken, Fülle ich zunächst die anderen Gläser ein und stoße stets mit SALUD an, ständig. Die K'oa findet jeden ersten Freitag im Monat statt und dient zur Ehrung PACHAMAMAs (Mutter Erde). An öffentlichen Plätzen wird dann ein Feuer entfacht, um dass sich alle herumstellen und das traditionelle Maisbier Chicha, welches in traditionelle Brauart mit Speichel gebraut wird, getrunken. Dabei wird vorm oder nach dem Trinken ein kleiner Schluck in vier Ecken des Feuers getropft. Um seinen Dank und Respekt aber gebürtig zu zollen, muss sich Mensch hinhocken. Dann reicht Mensch diese Trinkschale weiter. Selbstverständlich bedankt sich der Annehmer dafür. Spät in der Nacht wollten wir dann mit einer PLATA POLLO (Hünchenteller) unseren Hunger stillen. In der Nähe lag eine Straßenrestaurant. Sprich eine alte CHOLITA führte einen kleinen Imbiss, der sein Essen auf der Straße anbietet. Für 50Cent wurde auf einem Teller mit Reis und Kartoffeln, welche mit einem Fladen Hühnchen (dünner als ein Schnitzel) abgedeckt werden. Als Sahnehäufchen wird ein Ei oben raufgeschlagen. Dies kann dann je nach Belieben mit Ketchup, Senf und einer typischen scharfen Soße verfeinert werden. Nebenbei noch gesagt fuhren wir den ganzen Abend mit Taxis, die pro Fahrt maximal 2 Euro gekostet haben. Wie bereits oben erwähnt, wurde ich auf de K'oa gefragt, ob ich nicht mit Kultureindrücken vollgespeißt sei.

Eine Reise ins Nirgendwo.

Der Reiseplan war geschmiedet und sollte an die 36 Stunden dauern, um einmal um die halbe Welt zu reisen. Welch ein Abenteuer! Nach den scheinbar endlosen Verabschiedungen brachte mich der hoch moderne ICE der DB zum Frankfurter Flughafen. „Die Ruhe vorm Sturm“. Obwohl die deutsche Kultur bekannt für ihre Ordnung und Schilderliebschaft ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass Mensch sich so einfach auf dem Flughafengelände zurechtfinden wird. Doch schon bald fand ich meinen Schalter der TAM-Fluggesellschaft und gab meine 23kg Gepäck auf, entspannte mich mit Filmen in einem Café und telefonierte noch ein letztes Mal von deutschem Boden aus. Gegen 22 Uhr hob dann der Riesenvogel ab und brachte unzählige Menschen nach Sao Paulo. Unterwegs wurden unentwegt Getränke, Mahlzeiten, Putztücher serviert. Welch ein Service die Flugbegleiter doch auf die Beine stellen. Doch leider funktionierte mein Fernseher nicht, wodurch ich auf dem 11 stündigem Flug keine Filme, Musik oder Spiele genießen konnte. Der späten Stunde geschuldet schlief ich dadurch einfach die ganze Zeit über. Der Flughafen der Giga-Stadt Sao Paulo möchte Mensch sich vielleicht riesig erdenken, doch in Wahrheit wird viel Verwirrung auf wenig Raum gestiftet. Die Dinge laufen in Lateinamerika einfach anders. Schilder, Richtungsweise werden z.T. aus Papier ausgehangen, wichtige Orte spärlich bis hin zu gar nicht markiert. Glastrennwände erhöhen den Verwirrungsfaktor. Doch genau das gehört zu einem Auftakt zu einem Abenteuer, ebenso die rumwuselnden Traktoren und alten T1/T2 VW-Busse auf dem Rollfeld. Nach durchstoßen der Smog-Glocke Sao Paulos und einer weiteren Mahlzeit verlor ich mich erneut, nur diesmal in Assuncion. Dieser winzige Flughafen bietet wenig Weg, um herausfinden zu können, von wo der Anschlussflug startet. Das ich falsch sei, viel mir erst auf, als ich in der Schlange zur Einreise stand. Papierschilder, ein Harfenspiele, ein Junge, der seine Dienste im Schuhe putzen anbietet sowie Traktoren aus der Kolonialzeit stimmten mich immer weiter auf Bolivien ein. Der Anschlussflug, der direkt nach Cochabamba fliegen sollte, landete planmäßig in Santa Cruz zwischen, um Reisegäste aussteigen zu lassen. Der internationale Flughafen Cochabambas liegt wie die Stadt in ein Tal, umgeben von 5000m hohen Bergen. Dementsprechend amüsant gestaltet sich die Landung, da das Flugzeug kreise drehen muss, um Höhe zu verlieren. Zwischen den Bergen! Vor Ort wurde ich von zwei Mitarbeitern abgeholt und in mein neues Heim gebracht. Leider ist das Trinkwasser Cochabambas dermaßen stark kontaminiert, dass es niemand unabgekocht genießt. Um meine Dehydrierung und die dazugehörigen Kopfschmerzen kurieren zu können, musste ich nach 36h noch ein wenig Geduld haben, bis mein neuer Mitbewohner Johannes von der Arbeit kommt, und mir zeigen kann, wo es Wasser zu beschaffen gibt. Endlich kann ich mich schlafen legen!!!

Donnerstag, 19. August 2010

Projektseminar

Landau in der Pfalz. Das kleine Städtchen diente uns dieser Tage als Stützpunkt für mein letztes Seminar in Deutschland. Denn ab jetzt heißt es nur noch die letzten Dinge zu erledigen und sich ins Abenteuer zu stürzen. Dank Annis Gastfreundschaft und Johannas Hilfe konnten wir uns über interessantem bolivianischem Essen auf Bolivien einstimmen. Was für ein Land! Schon jetzt wirkt es so schön anders als Deutschland und Neuseeland. Typisch deutsche Standards wie zum Beispiel Hygiene oder Genauigkeit werden anders Umgesetzt. Doch bedeutet dies unbedingt etwas Negatives? Für mich besteht unter anderem genau darin das Abenteuer einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst in Bolivien, just dies herauszufinden. Muss eine Gesellschaft so wie die deutsche oder ganz verallgemeinert westliche gestaltet sein?

Doch hauptsächlich sprachen wir über mein Projekt „Estrellas en la calle“, speziell über mein Arbeitsbereich im Unterprojekt „Coyera“. So wie ich es mir gewünscht hatte, werde ich dort tätig sein und mit den Kindern direkt auf der Straße arbeiten. Jetzt, mit einem klareren Bild vor Augen, steigt die Spannung, wie die doch recht schwierige sowie nervenaufreibende Unterstützung vor Ort aussehen wird. Doch zunächst muss noch etliches organisiert und vorbereitet werden, bis ich ins Flugzeug steigen kann.