Mittwoch, 10. August 2011

Müde

Was passiert hier? Die Batterien sind langsam leer, das Sicherheitssystem alarmiert mich, dass nicht mehr viel übrig bleibt und rasch aufgeladen werden müsste. Doch wo finde ich das passende Ladegerät? Die Läden stellen sich auch vor die Frage und können mir nur spärlich weiterhelfen. Doch so wirklich richtig lange kann ich nicht mehr warten, denn die Systemabstürze oder -Blockaden häufen sich. Nur weis ich nicht, wo die Lösung liegt, was ich am besten tät. Somit hoffe ich dann doch einfach nur auf die Zeit, schließlich wird von ihr oft behautet, dass sie durch ihr automatisches Verstreichen die Dinge regelt, und setze einfach auf den nächsten Tag.

Der Gedanke an die Zukunft bereitet mir eh Schmerz und Verwirrung. Ich muss Entscheidungen nun rasch treffen, um am Ende nicht den roten Faden zu verlieren. Doch von dem was ich schlussendlich festlege, habe ich aber trotzdem keine Ahnung. Ich versteh es einfach nicht und komm auch nicht recht um die richtige Ecke, um mir davon ein Bild zu verschaffen. Es ist wie im Dunkeln tapern und schlichtweg auf Zurufe und Erinnerungen vertrauen. Nicht einmal meine Füße erspüren den Untergrund. Verständlicherweise fällt da jeder Schritt nach vorne schwer und bereitet Ängste, doch wie immer: die Zeit hält ihren Lauf deswegen nicht auf, es geht stets weiter! Abschnitte werden definiert, groß bejubelt, doch heimlich entrinnt da stets eine kleine Träne dem ach so starkem Auge und ich mitten mang all dem Trubel. Meine Gedanken rotieren, springen immer wieder zurück. Die Scheibe hat anscheinend einen Sprung, doch der CD-Spieler kann nicht ausgeschaltet werden. Damit ginge alles zu Ende und wäre verloren. Sie dreht sich weiter wie der Lauf der Zeit. Der Dreck sammelt sich immer weiter an und lässt sie weiter und schlimmer haken. Die Zeit zur Reparatur fehlt. Geld spielt hier ausnahmsweise keine Rolle. Die letzten Bemühungen müssen schlichtweg hinter mich gebracht werden. Ich hätte nicht gedacht, dass es so anstrengend und so schwer wird. Vielleicht gefiel mir wirklich schon immer die Hau-Ruck-Variante: kurz und schmerzlos, obwohl letzteres eine nett belächelte Lüge ist. Wer nicht alles vergisst und hinter sich lässt, trägt einen Schmerz mit sich rum und muss ihn schließlich verarbeiten. Doch in vielen Traditionen und Religionen ist das Ende nicht zwingend etwas Schlimmes. Schließlich wird es oft gepriesen und gefeiert. Manchmal soll es nicht einmal das Ende sein, nein gedanklich geht es weiter, irdisch oder spährisch. So möchte ich das auch für mich behalten: es geht weiter! Wie, weis ich lediglich nicht. Erscheint mir auch noch überflüssig, denn zunächst gilt es die aller nächste Zukunft zu überstehen. Da erscheint mir der Aufstieg in den Himmel schon fast wie ein Befreiungsschlag, denn viele Stunden in endloser Weite müssen durchschlafen werden, um in der anderen Welt wie im Märchen aufzuwachen. Doch bis jetzt trug jede Revolution sein zweischneidiges Schwert mit sich daher. Schnitte und Schmerz müssen dann kuriert werden. Auf geht es in die letzten Runden, bevor die Scheibe vorübergehend zur Reparatur angehalten werden kann.

Montag, 1. August 2011

Landei

Diese Ruhe, Stille und Langsamkeit hat mich damals immer verschreckt, sogar fern gehalten. Ich mochte es nie. Mir passierte einfach zu wenig, alles bewegte sich schleichend und wurde durch nichts gestört. Vielleicht durch die Menschen selbst, die ihren Mund nicht halten können und wenig Respekt für den Rest übrig haben. Mitterlweile fahre ich dort sehr gerne, genieße es sogar und überrede meine Freunde dazu mich zu begleiten. Vielleicht liegt es noch an einem kulturellen Unterschied, dass es mir jetzt gefällt. Doch diese ursprüngliche Atmosphäre spricht mich sehr an. Für immer möchte ich dennoch nicht bleiben. Kurzbesuche reichen da vollkommen aus, sind Balsam genug.

Oft habe ich mich schon gefragt, warum die Menschen hier so viel gelassener sind? Warum sie sich weniger lautstark entrüsten, mit ihren Autohupen zum Beispiel? Woher kommt dieser für mich doch merkliche Unterschied?

Neulich fuhr ich mit Mia in den Urlaub. In dem Dorf Samaipata heuerten wir einen Wanderführer an, der uns zwei Tage lang durch den Nationalpark Amboró führen sollte. Ich war hin und weg; unglaublich mit welcher Ruhe und Gelassenheit er die Dinge erledigte. Auch wenn ich mir dabei zunächst unwohl vorkam, deckte er uns stets den Essenstisch. Dazu rollte er auf dem Boden einfach ein kleines Deckchen aus und verzierte es mit Brot, Käse, Wurst und Gemüse. Doch alles Stück für Stück. Ohne jegliche Hektik oder Druck. Die Messer zog er aus einem kleinen Tuch, schaute sich den Wald an, wischte sie am gleichen Stoffstück ab, kniete sich hin, schaute sich den Tisch an und platzierte erst jetzt das Geschirr. Dazu nahm er sich alle Zeit der Welt. Natürlich gab es keinen Zeitdruck. Hier im Nebelwald zwischen dem Riesenfarn spielt Zeit keine Rolle. Einzig und allein die Sonne setzt die Segel unseres Tages. Doch mir ist diese Langsamkeit nicht eigen. Mit schnellen Bewegungen beschmierte ich mir mein Brot und aß es zügig auf. War es überhaupt so schnell oder kam es mir nur so vor, weil ich bereits zwei verdrückt habe und er gerade einmal den ersten Bissen gesetzt hat? Ich weiß es nicht! Schnell beschmutzte ich auch unseren fremd wirkenden gelblich weisen Ort mit einer unvorsichtigen Fußbewegung. Ihm passierte dies nicht einmal im Ansatz -Mia auch nicht. Ich war schlichtweg begeistert, wie er sich bewegte, die Natur wahrnahm und alles erledigte. Stets strahlte er diese natürliche Ruhe aus.

Später erzählte er uns, dass er schon seid 22 Jahren in Samaipata lebt und bereits 10 Jahre lang Gäste durch dieses wunderschöne Stückchen Erde führt. In Cochabamba geht er auf der cancha nur Essen und einige Dinge einkaufen. Die Stadt selbst hat er noch nie in seinem 33 jährigen Leben kennengelernt, will er auch nicht.

Mia wuchs auf einem kleinen dt. Dorf groß. Meine in Berlin nächstgelegenen Freunde lägen schon außerhalb ihres Dorfes. Auch sie strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Während ich durch die Welt hüpfe und sprinte, sucht sie zum Teil Frieden im Stillen, begleitet durch Essen, Musik und Literatur.

Vielleicht wirkt es vorlaut und kann begründet abgewiesen werden, doch frage ich mich, welchen Einfluss Stadt bzw. Dorf auf den Menschen hat? Ich bin immer stets glücklich in diesem großen Getümmel. Am besten mit ein bisschen Dreck, Lärm und Hektik, so gefällt es mir und bestärk mein Wohlempfinden. Gleichzeitig lebe ich auch so: schnell, hektisch, immer etwas los, wenige Pausen, die Musik voll aufgedreht, mein doppelter Espresso geht in Blitzeseile unter. Naturheilmittel kenne ich vom Land. Die Stadt bietet da lediglich eine 24 Stunden lang geöffnete Apotheke, die sogar bis an die Autotür serviert, so wie Fast-Food-Ketten.

In Samaipata endet die Mittagspause eigentlich um 14 Uhr, jedoch bei Nachfrage erklärten sie uns, dass die Geschäfte frühestens um 16-17 Uhr erneut öffneten, schließlich müssen alle ja noch aufessen und sich ausruhen. Das Abendbrot lässt dann aber auch nicht mehr lange auf sich warten. Genau so habe ich schon viele Dorfmenschen kennengelernt: Wozu die Eile, ich bin auch so glücklich. Unser Waldführer demonstrierte mir dies in zwei sehr speziellen Tagen.

Dienstag, 26. Juli 2011

Geburtstag


Meinen Jahrestag hatte ich mir oft neu vorgestellt. Große Feier? Ganz ruhig und im Stillen mit den engsten Freunden? Alleine durch die Stadt spazieren? Verreisen? Im bolivianischen Stil eine Woche lang durchsaufen? Alles hörte sich immer wieder toll an und begeisterte mich für sich. Am Ende stellte sich heraus, dass uns Feten in unserem Heim nicht mehr gestattet sind, da Johannes Geburtstagsfeier für die Nachbarn aus dem Ruder gelaufen sind. Es sollen Flaschen, Teller und Gläser von der Terrasse geschmissen worden sein. Als Konsequenz dürfen wir keine Festlichkeiten mehr abhalten, sonst ziehen wir aus und die neuen Freiwilligen dürfen dort auch nicht mehr wohnen. Mit eingezogenem Schwanz dachte ich also um -keine Feier mit viel Chicha vom Land, schade. Recht spontan plante ich mit Mia für die voranlaufende Woche eine fünftägige Reise Richtung Santa Cruz und dem Nationalpark Amboró. Viel Zeit für Vorbereitungen gab es also auch nicht. Die Woche davor feierte eine gute Freundin von mir ihren Geburtstag mit einem großen Abendbrot bei sich zu Hause. Dazu wurde ein Schwein aus der eigenen Zucht (Verkaufswert von min. 300US$) geschlachtet und köstlich zubereitet. In Bolivien wird das Ausmaß eines Gerichts mit seinem passenden Trank als Zeichen für cariño (Liebe, Zuneigung) verstanden. Geiz ist hier also nicht willkommen. Wer seine Freunde einlädt -oder welche Gäste auch immer-, der spart nicht. Das geht gegen jegliche Gastfreundschaft und kann auch so verstanden werden, dass mensch nicht willkommen oder gemocht sei. Schon seid Beginn meiner Zeit hier, wurde mir immer wieder von vielen Stellen gesagt, dass ich ein Händchen für die Küche habe, auch wenn ich sie in einem zerstörerischen Chaos verlasse. Somit besprach ich in meiner Reise mit Mia, welches Gericht ich zubereiten werde. Sie musste nicht lange überlegen: Lasagne! Doch diesmal sollte es eine vegetarische werden, schließlich weis ich nicht einmal, wo ich hier gutes und hygienisch sauberes Fleisch kaufen kann. Zudem können somit alle essen. Mit vielen großen Geldscheinen tauschte ich alles auf dem Markt ein und füllte meinen Beutel, bis er schwer wurde und mit Lebensmitteln überlief. Später kam noch ein bisschen Wein dazu. Nach unserem letzten Mal Capoeira mit Matteo sprintete ich zu Mia nach Hause, da dort alles stattfinden sollte. Bei mir zu Hause wäre es den meisten nachts zu kalt. Kilos von allmöglichen Lebensmitteln wurden von fleißigen Helfern geschnippelt und von mir zu zwei monströsen Soßen zusammengefügt. Wird es aber auch für alle reichen, Bolivianer essen schließlich viel und gerne? Damit sie auf jeden Fall satt wurden, kamen noch einige Kartoffeln in die Soße dazu. Die wird schon stopfen. Mit Salatblättern wurden die Teller ausgeschmückt. Den Nachtisch stellten zwei von Freunden mitgebrachte Kuchen und ein selbstgebackener dar. Mit Wein und ein bisschen Chicha, die ich allen einschenkte, ging alles gut den Rachen runter. Ein wirklich toller Abend. Am Ende wesentlich ruhiger als eine Fete, doch ebenso toll. Alle bedankten sich für die gute Mahlzeit und den tollen Abend. Nur leider musste ich meine eigene Schlacht in der Küche beseitigen. Am nächsten Morgen aßen wir zu meiner Ehren salteñas in Inti K’anchay und ich hörte nun bereits zum fünften Mal mein Geburtstagslied.

Samstag, 16. Juli 2011

Gutherzigkeit

Wo wollen wir hin, was wollen wir eigentlich erreichen? Wozu der ganze Spaß, die Anstrengung und Aufregung? Von diesen Antworten hängt sehr viel ab. Auf institutionellem Niveau bedeutet dies viel Verantwortung und Verantwortung. Denn es müssen Schritte, Zwischenziele, Methoden und Strategien entwickelt werden, um am Ende alles zu erreichen, was sich vorgenommen wurde. Doch was erreichen wir, wenn wir den Straßenkindern Kleidung, Essen, Medizin geben? Wobei hilft ihnen das? Es wird viel Geld aus Europa und Nordamerika mobilisiert und darin investiert, dass es ihnen für den Moment gut geht. Weiter nichts! Gutherzigkeit ist gut gemeint und immer notwendig, wenn wir mit den Straßenkindern arbeiten. Schließlich haben sie in ihrem Leben schon genug gelitten, dass muss nicht noch ausgebaut werden. Die Realität sieht jedoch so aus, dass sie sich in ihrem Lebensumfeld so weit es geht so einrichten, dass es ihnen halbwegs gut geht. Wenn dann NGOs antanzen und all ihre Nöte und Wünsche abdecken, gewöhnen sie sich daran so gut, dass sie sich praktisch einen Wochenplan erstellen, wann sie wo was bekommen oder abstauben können. Natürlich reicht die ihnen angebotene vermeintliche Hilfe nicht komplett aus. Sie müssen am Ende immer noch arbeiten und leiden tagtäglich weiterhin, doch Veränderungen werden nicht generiert. Deswegen muss die Frage, was erreicht werden soll immer mitschwingen. Schließlich haben wir uns diese Verantwortung z.T. übertragen. Mit reinen Geschenken und Dienstleistungen werden sie die Straße jedoch nicht verlassen. Sie bleiben dort, weil sie alles nötige haben oder beschaffen können und somit die Notwendigkeit einer Veränderung des Lebensstil unwichtig wird. Laut etlicher nationaler und internationaler Studien arbeiten ca. 120 Organisationen mit den Straßenkindern Cochabambas, doch nur ca. 2 arbeiten wirklich daran, Veränderungen zu generieren. Zum Glück zählt die Fundacion Estrellas En La Calle mit dazu. Der Rest besucht die Gruppen, schießt Fotos, um mehr Geld aus dem Ausland zu beschaffen und/oder realisiert Aktivitäten, die dazu dienen, dass die Straßenkinder eine angenehme Zeit auf der Straße verbringen, doch immer mit dem Ziel oder Auswirkung, dass sie genau dort bleiben.


Natürlich benötigen sie medizinische Versorgung, um überhaupt die Ressourcen zur Veränderung aufbringen können. Die schließt aus Kleidung und Nahrungsmittel ein. Doch bemüht sich die Fundación immer, dies mit einer Motivationsarbeit zu verbinden. Dies will sagen, dass z.B. Essen nur angeboten wird, wenn bei den Aktivitäten partizipiert wird. In diesen versuchen wir, sie dazu anzuregen, dass sie über ihr eigenes Leben ernsthaft reflektieren, gewisse Dinge erlernen, die sie in einem anderen Leben(sstil) benötigen. Kleidung wird oft als Belohnung verwendet. Wer die Straße verlassen hat, kann sich komplett einkleiden z.B. Ärztebesuche sind da schon ein wenig schwieriger, doch zumindest kann die gemeinsame Zeit zu einem motivierendem Gespräch genutzt werden. Gleichzeitig verlangen wir oft, sofern es möglich ist, dass sie uns an einem bestimmten Punkt in der Stadt treffen, um zu sehen, wie sehr sie motiviert sind, die Verantwortung für ihr eigenes Leben anzunehmen. Beantragen wir mit ihnen ihren Personalausweis, dann wird das in diesem Prozess immer mit einem neuen Lebensplan verbunden. Wozu wird der Ausweis gebraucht? Z.B. um eine bessere Arbeit zu finden, Schulen oder Ausbildungen zu besuchen oder eine Wohnung zu mieten. Die Idee ist es, dass wir ihnen nichts schenken. Auch wenn sie uns den Gegenwert nicht zurückgeben können, müssen zumindest Anstrengungen ihrerseits und Zukunftspläne erkennbar werden. Dies wirkt oft kaltherzig und hart. Doch somit stellen wir sicher, dass sie uns nicht einfach nur ausnutzen und können in einzelnen Fällen Veränderungen bewirken oder vorbeugen, dass sich ihre Lebenssituation allzu sehr verschlechter.

Natürlich ist dieser Weg für sie wesentlich schwieriger als einfach nur Dienstleistungen anderer Organisationen anzunehmen, doch ich denke, dass die Resultate verdeutlichen, welcher Weg eingeschlagen werden sollte. Immer wieder bemerken wir jedoch die Auswirkungen der Arbeit anderer NGOs, die die Straßenkinder dort belassen, wo sie leben. Sie beschimpfen uns manchmal, warum wir ihnen nicht auch all die Dinge wie die anderen schenken, warum wir nur kommen, um sie zu belästigen, warum wir nicht einfach Aktivitäten durchführen können, ihnen dabei Essen und Kleidung geben und fertig, wozu dabei noch der restliche Mist? Um eben am Ende für eine bessere und nachhaltige Lebenssituation der Straßenkinder zu sorgen. Dies sollte unser aller Ziel sein und daraufhin müssen unsere Interventionen sowie Strategien ausgerichtet werden!

Montag, 4. Juli 2011

puede pasar de todo

Schon zu Jahresbeginn hatte ich mit David eine Exkursion in die Natur, die nahegelegenen Berge Cochabambas geplant. Es sollte eigentlich nach Parque Tunari gehen, da ich dort selber schon einmal mit Freunden hochgestiegen bin und dieses Wochenende nur schwer vergessen kann. Es sollte der Abschluss einer Serie von Aktivitäten zum Naturschutz werden, die wir in Inti K’anchay durchführten. In den verschiedenen Aktivitäten besprachen wir die Verschmutzung, Schutz und Wiederverwertung von Wasser, (Plastik)Müll, Erde und Luft. All diese Aspekte wollten wir innerhalb eines Zweitagesausfluges spezifizieren. In einer Teamsitzung informierte uns jedoch Carlos, dass Parque Tunari momentan voll von Drogenschmuggel und Dieben sei. Um der Gefahr aus dem Weg zu gehen, planten wir um und zielten nun Inka Rakay an. Auf diesem Berg befinden sich Inkaruinen, die jährlich am 21.Juni zum Sonnenaufgang besucht werden, um Neujahr der Aymara-Kultur zu feiern.

So wie ich die geliebten Jugendlichen kenne, werden sie sich trotz der tollen Exkursion beschweren, egal worüber. Deswegen beharrte ich darauf, dass wir die ganze Aktion mit ihnen zusammen planen und auch nur die mitnehmen, die auch wirklich wollen. Zudem können wir sie somit auch für den Ausflug verantwortlichen und ihnen just diese in einem abgesteckten Rahmen beibringen.

Wer mitkommen wollte, -während den Wochen zuvor sprachen wir schon mehrmals unsere Idee an- musste an der einzigen Versammlung teilnehmen. Hier präsentierten wir ihnen die Idee und besprachen gemeinsam mit ihnen, was bedacht und geplant werden musste. Sie taten sich äußerst schwer mit ihrer ungewohnten und hier z.T. ungewöhnlichen Verantwortung. Immer wieder erstaunten sie, wenn ich ihnen eröffnete, dass ich ihnen nicht alles vorkauen und erledigen werde. Vor allem das Essen musste geplant werden, aus praktischer als auch finanzieller Sicht. Denn das Projekt stellte uns aus finanziellen Schwierigkeiten nur eine klitzekleine Summe zur Verfügung. Das gewünschte Hühnchen, welches gegrillt werden sollte (für 14 Personen sollten es mindestens vier Kilogramm sein) steckte bei insgesamt 120Bs nur schwer drin, zumal 40Bs ja schon für Transportkosten draufgehen sollte. Somit kamen wir zu dem Schluss, dass jeder 5Bs dazugeben muss. Doch wie bereiten wir das Huhn vor Ort zu, wo es nur das gibt, was wir auch wirklich mitnehmen. Gleiches mit Reis. Hier konnte gut beobachtet werden, dass ihnen die Vorstellung für die Bedingungen vor Ort fehlten, weswegen sich die ganze Veranstaltung in die Länge zog. Doch am Ende war alles in Sack und Tüten. Kurzerhand teilte uns das Direktorium mit, dass wir nur mit den Mädels gehen könnten, wenn auch eine Betreuerin mitkäme. Somit wurde leider eine neue Kollegin der Fundación förmlich zu ihrem Glück gezwungen.

Am Samstagmorgen trafen wir uns in der Früh und fuhren nach kurzer Erklärung der grundsätzlichsten Regeln los: Alles läuft nach der Autorisierung des Teams, Sex, Drogen und Zigaretten sind verboten, Kameradschaft und Respekt sind gefordert. In Suticollo angekommen stiegen wir aus und teilten alle vom Präsidenten der Jugendlichen gekauften Lebensmittel unter allen auf und traten unseren 3 ½ h Marsch an. Stück für Stück stiegen wir hinauf, kamen zunächst an dem Dorf Sipesipe vorbei. Die 15km schlauchten viele sehr. Doch selbst die jüngsten (13 Jahre) schafften es. Sie lebten schließlich ein Abenteuer. Durch die Lebenssituation der Eltern bekommen sie eher nie die Gelegenheit, an solche Orte zu gelangen. Unterwegs bestaunten sie die Aussicht, aber gleichzeitig auch die Luftverschmutzung, die hier deutlich als braune Kappe über Cochabamba und Umland zu sehen ist.

Immer wieder fragten mich die Jugendlichen, wann wir denn nun unseren taller haben werden. Doch ich erklärte ihnen, dass nichts dergleichen geplant sei. Schließlich sind wir bereits mitten in der Natur, wozu also da noch groß eine Gesprächsrunde vorbereiten, wenn ich mich mit ihnen auch passend zu den einzelnen Situationen unterhalten kann. So weckte ich die Aufmerksamkeit eines Mädchens auf den Sonnenuntergang und wie dieser langsam in der Stadt als dunkler Schatten voranschreitet. Schlussendlich sahen wir dann auch die Luftverschmutzung durch all die Straßenlichter, die die Dunstwolke gelblich ausleuchtet. Ebenso fanden wir Plastikmüll auf dem Weg und besprachen schnell die Auswirkungen und Verantwortung der Menschen durch Nutzung von Plastik.

Nach einer kurzen Pause mit einem Happen Brot teilten wir uns auch schon wieder in drei Gruppen auf, zwei davon suchten Feuerholz und die letzte baute Zelte und Lager auf. Cochabamba wird zwar als Kornfeld Boliviens bezeichnet, jedoch sprüht nur das Tal vor Feuchtigkeit, die Berge sind recht trocken, vor allem Monate nach der Regenzeit. Dementsprechend konnten wir unter dem Krüppelgewächs nur kleinste Zweige finden. Zumal war ich mir sicher, dass bereits alles durchforstet wurde, um es am folgenden Montag an all die Ausflügler zu verkaufen, die zum indigenen Neujahr der Áymarakultur hier z.T. heraufsteigen werden.

Manchmal liebe ich das Wirtschaftssystem Boliviens: Es wird immer an verschiedensten Orten das passende verkauft. Die Armut ließ die Menschen erfinderisch werden und überlegen, was wo gut angebracht werden kann.

Während David und Carlos mit dem mitgebrachten Grill fürs Hühnchen (es ist ein verhältnismäßig günstiger Luxus und wurde deswegen explizit von den Jugendlichen gewünscht) und der Zubereitung des Reis´ und der Kartoffeln beschäftigt waren, schnappte ich mir die kleinsten unter den Jugendlichen und lud sie zu einem weiteren Abenteuer ein. Auf der richtigen Spitze des Berges thronten so einige große Felsen, die wir jetzt heraufkletterten. Welch ein Spaß. Meine Kamera sollte, von ihnen eingefordert, diesen Moment verewigen. Wir fanden sogar eine Höhle, wo sie ohne meine Vorhut nicht hineingehen wollten. Ich zog Stück für Stück ihre letzten Energien heraus, schließlich sollten sie früh schlafen gehen, damit sie nicht zu sehr die nächtliche Kälte spüren und am nächsten Morgen mit dem Sonnenaufgang aufstehen. Die ersten Sonnenstrahlen erwarteten wir gegen 5 Uhr.

Nach Sonnenuntergang versammelten wir uns alle um das Lagefeuer herum und aßen in lustiger Gemeinschaft diese recht simple aber leckere Mahl, leider wären einige durch die Dunkelheit so sehr verängstigt, dass sie sich schnell erschraken und nicht ohne Begleitung und mehreren Taschenlampen das Licht verlassen wollten. Der Hunger treibt es rein, heißt es immer so schön. Normalerweise beschweren sie sich oder täuschen sogar Allergien oder Brechreize vor, wenn ihnen der Salat zu grob geschnitten ist, vor allem bei Zwiebeln. Doch hier oben forderten alle mehr Salat zu ihrem Reis, obwohl wir Zwiebeln und Tomaten einfach nur in große Scheiben geschnitten haben.

In der Vorbereitung haben wir extra gesagt: „puede pasar de todo“ (alles kann geschehen). Denn schließlich wollten wir in ein Abenteuer aufbrechen, gleichzeitig sorgt soetwas für mehr Spannung und Motivation. Am Ende behielten wir jedoch Recht, denn während die Jugendlichen überall Brennholz suchten, fanden sie etliche weiße, mit Gras bedeckte Kanister, die Benzin enthielten. Zum Glück sagten sie den Betreuern bescheid. Direkt schauten wir uns die Fundstelle an und fanden ca. 10 Kanister, von denen 8 mit Benzin gefüllt waren. Zusätzlich fanden wir einen Sack mit bereits gebrauchtem Kalk. Carlos war sofort klar, wofür das alles genutzt wird: Kokainherstellung. Da aber in zwei Tagen año nuevo Áymara (Neujahr der Áymarakultur) bevorstand, erklärten wird den Jugendlichen zunächst, dass das Benzin vielleicht schon hierhergebracht wurde, um später alle Lagerfeuer zu entzünden. Währenddessen rief eine Mitarbeiterin (die mehr oder weniger gezwungen wurde mitzukommen, da kein homogenes Team aus Männern mit weiblichen und männlichen Jugendlichen auf Exkursion gehen darf) ihren Bruder bei der Polizei, die für Drogenschmuggel spezialisiert ist an. Dadurch kam dann ein Anruf vom Coronel an, der uns versicherte zwei Zivilbeamte zur Inspektion vorbeizuschicken. Während des Abendbrotes tauchten schließlich zwei Beamten in Armeekleidung aus der Dunkelheit auf und baten uns sie zu der Fundstelle zu führen. Im Schlepptau bahnten sich weitere Soldaten ihren Weg durchs Gebüsch. Diese suchten umgehend nach Kokainfabriken, die sie 200m weiter entfernt fanden und mit dem gefundenen Benzin großzügig verbrannten. Dahin war´s mit unserem Ausflug zum Umweltschutz. Die gigantische Rauchwolke konnte selbst bei Dunkelheit nicht übersehen werden. Das restliche Benzin nahmen sie mit. Zudem fragten sie uns, ob die örtliche Dienststelle jemals bei uns angekommen sei, da sie die auch losgeschickt hatten, diese jedoch auf ihrem Rückweg gemeldet hatten, dass sie niemanden bei den Ruinen gefunden hätten. Wir waren aber mit Lagerfeuer nicht zu übersehen. In mehreren Anläufen besprachen wir mit den verantwortlichen Uniformierten, dass es aus Sicherheitsgründen für uns am besten sei, diesen Ort zu verlassen. Doch wollten sie uns keine Batterien für Taschenlampen, keine Taschenlampen dalassen, ebenso wenig uns in ihrem PickUp mitnehmen, nicht einmal die kleinsten und erschöpftesten. Sie könnten einen trufi hochschicken, sofern dieser sich dazu überreden lässt

Somit bauten wir alles rasend schnell ab, um nicht die Gefahr zu laufen, auf die Besitzer zu treffen, die bekanntermaßen regelmäßig ihre Verstecke kontrollieren. Da wir die einzigen weit und breit waren, gibt es da für diese Klientel nicht mehr viel zu besprechen. Zeugen dürfen nicht überleben. Zum Glück verstanden die Jugendlichen die Situation soweit, dass es ihnen auch lieber war, diesen Ort zu verlassen. Bei Vollmond stiegen wir ohne Taschenlampen herab, was sich für viele Jugendlichen als spannendes Abenteuer herausstellte. Im Kollegium teilten wir uns drei, die sich als überflüssig herausstellten, da wir durchs Mondlicht sehr gut sehen konnten. Unsere Kollegin trieb die Herde in ihrer Panik und den Auswirkungen ihre Periode bis ins Tal, wo die Polizei auf uns wartete. Denen wurde das Warten nach einer Stunde jedoch leid und zogen ab. Somit landeten wir schlussendlich in Sipesipe und schlugen die Zelte auf einem Fußballplatz neben einer chicheria (eine Art Kneipe) auf. Nach einem kleinen Happen ging es ab ins Bett, schließlich sind wir am Ende doch recht viel gelaufen.

Mit dem Sonnenaufgang hüpften wir aus den Betten, bauten zusammen, genossen unser Frühstück und liefen wie verkatert zum Dorfplatz. Unsere Kollegin hat sich in der Nacht ohne Notiz aus dem Staub gemacht, da es ihr nach ihrer Auskunft zu schlecht ging, um noch länger bei uns zu bleiben. Mit dem Auto ging es zurück in die Stadt, wo ich alle an verschiedenen Stellen absetzte und froh zu Hause meinen Kaffee genoss und mich vier Stunden lang nicht aus meinem Bett bewegt habe, nicht einmal zum Duschen. Die Entspannung und erlaubte Faulheit musste einfach her.

Am Montag fragten mich die Banausen direkt nach den Fotos und wann es auf die nächste Exkursion geht. Für die Jugendlichen war es ein wirklich tolles Erlebnis, für uns als Team auch, nur hielten wir danach drei Teamsitzungen, um unser Verhalten und das der Polizei zu reflektieren.

Montag, 23. Mai 2011

Geht's über Los?

Aaaaah! Ich renne, sprinte über alles hinweg, was meinen Weg kreuzt und trotzdem gewinne ich keinen Abstand. Nein, er wird unaufhaltsam immer kleiner. Warum ist mir nicht die Kraft gegeben, das Unmögliche umzusetzen? Doch die Realität bleibt mächtig stets über mir schweben -ob ich sie akzeptiere oder nicht. Sie holt mich immer wieder mit Lichtgeschwindigkeit ein. Da kann ich rennen wie ich möchte. Am Ende schmettert sie mir die Wahrheit doch ins Gesicht, so dass es richtig weh tut.

Ich verabscheue schon seid geraumer Zeit diesen Tag. Befürchtet hatte ich es schon von Anfang an, jetzt ist es die grausame Wirklichkeit, die mir immer wieder das Gleiche aufzeigt. Ich schaue so gut es geht weg. Ändern tut sich dadurch leider jedoch nichts. Doch für Momente kann ich es vergessen, diesen Tag, der alles ändern soll.

Viele Verbindungen habe ich nicht konstant aufrecht erhalten. Sie warten auf ihre vorprogrammierte Reaktivierung. Ich habe mich nicht abgeschottet, eher wurde ich durch eine neue, andere Welt eingenommen, die ich so sehr genoss, dass wenig für anderes übrig blieb. Doch der Tag rückt näher, die Verantwortlichkeiten schwappen über den Ozean und zeigen mir auf, was es jetzt zu tun gilt. Zwei Kontinentalplatten krachen, kratzen aneinander. Die ausgelösten Erdbeben erschüttern alles, vor allem das, was unvorbereitet schon vorher dahin schwankte. Die Ruhe ist verflogen, Chaos und Hektik sind dafür eingekehrt. Welch nette Gesellen? Ich habe sie selten so sehr zugleich gemocht und verabscheut. Sie können die Würze jeder Suppe sein, doch auch der Nährboden, in dem alles unliebsam untergeht.

Fragen, Verantwortungen, Formalitäten quälen mich, doch noch viel mehr, dass ich direkt aufs Gefängnis brause ohne über Los zu gehen. Der große Gewinn bleibt also aus? Ich denke nicht. Doch mein Ziel kommt mir momentan nicht sehr attraktiv vor. Die Umgewöhnung wird schwer und weh tun. Allein sitze ich dort und versuche mein rasendes Herz zu beruhigen, der Schmerz wird sonst nur in riesigen Schwallen durch meinen ganzen Körper gepustet. Nichts kann die Suppe aufpeppen, so scheint es oder sehe ich das alles viel zu triste, viel zu negativ? Natürlich gibt es wie immer eine positive Seite des Ganzen, doch macht die es wert? Einige Dinge möchte ich machen, die nur dort möglich sind. Darauf freue ich mich bereits, das kann schön werden. Vorher möchte ich aber noch an Los vorbeikommen und eine Menge auf dem Weg trödeln.

Ende August steigt mein Flieger und möchte nicht. Wie ich es hasse!

Donnerstag, 14. April 2011

Coyera - Wiñana

Mit fällt auf, dass ich bis jetzt noch nie meine zweite Arbeitsstelle am Nachmittag vorgestellt habe. Wie ich schon berichtete arbeite ich ja morgens im Projekt Inti K’anchay und nachmittags schließlich noch in Coyera und Wiñana. Wo der Unterschied liegt, erkläre ich im Folgenden noch genauer.

Coyera beschäftigt sich ausschließlich mit Menschen beider Geschlechter (!), die auf der Straße oder auch in einigen Fällen mit Menschen, die sich in den einzelnen Gruppen tagsüber aufhalten, auf der Straße arbeiten und kurz davor stehen auf der Straße zu leben. Viele Menschen fragten mich oft, wie wir die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen täglich finden sowie treffen. Es ist nicht so, dass wir losfahren und aus dem Autofenster schauen, wenn wir kennen. Auch fahren wir nicht zu irgendwelchen Hinterhöfen oder dergleichen, um die jeweiligen Personen zu finden. So wie in Deutschland auch, leben die obdachlosen Menschen in relativ festen Orten und arbeiten hauptsächlich auch an den gleichen Stellen. Ihre zugehörigen Namen resultieren aus den jeweiligen Orts- oder Straßennamen. Jeden Montagnachmittag planen wir im Kollegium unsere Woche, wobei die Vormittage jeder Woche für die gleichen Gruppen eingeplant sind. So können wir unsere Aktivitäten gut mit anderen Organisationen abstimmen, die auch mit den gleichen Gruppen arbeiten. Gleichzeitig erfahren die Gruppen dadurch Routine sowie einen Wochenplan. Drei der sechs Gruppen, mit denen wir arbeiten leben unter Brücken: America, Huaynacapac, Costanera. Eine auf einem Platz (San Sebastian), eine andere befindet sich auf einem Berg (Costanera), an einem von der Stadt abgeschotteten Ort, wo sie sich ihre Hütten konstruiert haben. Die letzte (6 de agosto) besteht aus Kindern und Jugendlichen, die sich zum z.T. zum Arbeiten treffen und einigen, die in der Nähe eines Schwimmbades wohnen.

Sie unterscheiden sich sehr voneinander. Einige Gruppen bestehen schon sehr lange, während sich 6 de agosto erst vor einem halben Jahr neu gebildet hat. Auch die Art und Menge des Drogenkonsums sowie ihre ‚Arbeit‘ variieren. Hauptdroge ist jedoch Schuhkleber, der irgendwann industriell verändert wird, so dass seine Wirkung wesentlich stärker aber auch schädlicher ist. Marihuana wird z.T. auch konsumiert und im Beispiel Huaynacapac und San Sebastian spielt purer Alkohol sowie Chicha eine große Rolle. Der Chef jeder Gruppe sammelt von allen Mitgliedern Geld ein, um den Kleber von einem Dealer zu erstehen, welcher nachwievor in den typischen kleinen milchigen Plastikflaschen verkauft wird. Je nachdem wird täglich eine bis zwei Falschen inhaliert. Er sorgt dafür, dass keine Kälte, Hunger sowie Schmerzen gespürt wird. Gleichzeitig benebelt er den Geist ähnlich wie Marihuana, muss aber für seine Wirkung fast konstant konsumiert werden. Für eine noch stärkere Wirkung kann der Flüssigkleber auch in eine Tüte gekippt werden, aus der wie bei einer Panikattacke ein- und ausgeatmet wird. Da es über die Atemwege geht, wirkt er sofort, geht direkt an die Nervenbahnen und schädigt sie langfristig, wodurch sich zunächst die Feinmotorik verabschiedet, später folgt Grobmotorik, bis hin, dass die Menschen nicht mehr Laufen und dergleichen können. Zudem trocknet das Hirn immer weiter aus, wodurch dessen Leistungen stückchenweisen eingehen.

Die schon angesprochenen ‚Arbeiten‘ sind hauptsächlich Autofensterscheiben zu putzen, wofür sie mit der kleinsten verfügbaren Münze bezahlt werden. Da Bolivien an einem Münzmangel leidet, finden die Bolivianer meistens nur 50 Centavos (2 x 50 Centavos = 1 Boliviano) in ihren Brieftaschen. Dafür kann sich Mensch ein Brötchen beim Bäcker kaufen oder auch eine Tüte Wasser. Zur Erinnerung: ein Mittagessen kostet ca. 10Bs, eine Unterkunft in einem Hostal, wo kein Tourist unterkommen möchte 20Bs. Als Fortschritt gilt Süßigkeiten auf der Straße oder in Bussen zu verkaufen. Viele verkaufen auch ihre gestohlenen Gegenstände auf der Cancha.

Wir versuchen nun die niños en situación de calle dazu zu motivieren, dass sie die Straße verlassen, ihren Drogenkonsum aufgeben und damit einhergehend einige ihre Gewohnheiten und Habitus ändern. Dies ist sehr wichtig, sich zu merken, da anderen Organisationen, die mit den ungefähr 1000 Straßenkindern Cochabambas arbeiten, sich unterscheidende Ziele verfolgen. Alles läuft bei uns über Motivation. Wir können sie zu nichts zwingen. Außer vielleicht unsere Regeln während unseren Aktivitäten zu beachten. Sie können schließlich immer gehen.
Dazu besuchen wir die jeweiligen Gruppen wöchentlich und spielen mit ihnen hauptsächlich Fußball oder andere Sportarten, die unteranderem gegen die Wirkungen des Klebers ankämpfen. Vor den Spielen bieten wir verschiedene Workshops an, die z.B. die Menschenrechte, Gesundheit, Hygiene, Ernährung, Verhütung, Gewalt (auch Polizeigewalt), Umwelt, Identität, Selbstbewusstsein, Wertschätzung der eigenen Person und der Mitmenschen behandeln. Am Ende jedes Vormittags essen wir mit ihnen eine Kleinigkeit, was auch dafür sorgt, dass sie mindestens einmal die Woche gesund essen und wir gleichzeitig unsere Bemühungen im Bereich der Ernährung praktisch unterstützen. Nebenbei passiert viel in Einzelgesprächen. Sollten aus diesen konkrete Motivationen oder Bedürfnisse (z.B. Arztbesuch) zur Veränderung bestehen, koordinieren wir die dazugehörigen Schritte im Team und setzten sie beim nächsten Mal am Rande um. Obwohl wir mit ca. 154 Straßenmindern insgesamt arbeiten, können wir im Moment rund 25 casos concretos festhalten. Davon verlässt jährlich ein kleiner Prozentsatz die Straße und einige dieser Menschen kehren (längerfristig) nicht auf die Straße zurück.

Von dieser Warte aus betrachtet, erscheint unsere Arbeit aussichtslos, vielleicht sogar sinnlos. Doch trotzdem benötigen sie Hilfe und Zuwendung. Damit die Anzahl der auf der Straße lebenden Menschen nicht noch weiter anwächst versucht Inti K’anchay ja, dem präventiv vorzuwirken.
Auch wenn wir nicht gerade viel Bewirken können und uns schnell Grenzen gesetzt sind, lässt mich der Kontakt und das Zusammensein mit den Kindern meine Traurigkeit darüber vergessen. Denn obwohl sie im ersten Moment und in verschiedenen Situationen wie Erwachsene erscheinen, blickt beständig ein kleines Kind in jedem von ihnen durch. Diese Kombination macht sie oft so liebenswert und süß. Hier kann ein jeder lernen, sich an den kleinen Dingen zu erfreuen.

Wiñana kümmert sich dann in einem zweiten Schritt um all die Menschen, die die Straße verlassen haben. Meistens besteht dieses Klientel aus Personen, die wir schon aus unserer Arbeit auf der Straße kennen. Dies vereinfacht viele Dinge. Oft haben wir schon im Moment des Veränderungsprozesses damit angefangen die rechtlichen Schritte einzuleiten, um z.B. einen Personalausweis zu beantragen. Auch kennen wir Gewohnheiten, Geschichte und besitzen schon Kenntnisse in den Bereichen educativa, social und psicologia.

Ziel dieses Projektes ist es nun, die Menschen in ihrem Prozess positiv zu unterstützen, zu orientieren und beständig weiter zu motivieren. Dazu besuchen wir sie regelmäßig (je nach Bedürfnissen und Zustand der Personen) in ihren Häusern oder Zimmern. Je nach den Ergebnissen der Gespräche leiten wir die entsprechenden Schritte ein: Begleitung zu Ämtern, Ärzten und öffentlichen Stellen, Unterstützung bei Arbeits- und/oder Lehrstellen, Intervention der Psychologin, das Alphabet lehren. Alle zwei Monate versammeln wir alle zu einem taller (workshop), in denen wir häufige Themen ansprechen. Ziel ist dabei aber auch gleichzeitig, dass die Eltern z.B. aus ihren Häusern rauskommen und mit ihren Kindern andere Orte Cochabambas und Umland kennenlernen. Gleichzeitig können wir sie dadurch zusätzlich in anderen Verhältnissen erleben und gegebenenfalls direkt intervenieren, was auch Tipps oder Hinweise sein können. Ein gutes Essen fehlt natürlich auch nicht, was wie immer aktiv mit area salud (Gesundheit) verbunden wird, so wie auch das Thema, unter der die Exkursion steht.

Da die Mehrheit Paare mit Kindern sind, dreht sich auch viel in unseren Besuchen um die Kinder, deren Erziehung und das Leben als sich liebende Lebensgemeinschaft. Oft versuchen wir die Eltern dazu zu motivieren, dass sie ihre Kinder in den Kindergarten Fenix der Fundación schicken oder in zwei Fällen sogar in Inti K’anchay. Dies sollte, so dachte ich bis vor kurzem noch, für die Eltern sehr attraktiv sein, da ihnen in diesem schwierigen und anstrengenden Bereich noch mehr hilfe angeboten wird, von eine Fundación, die sie schon kennen. Doch durch ihre vielen Erfahrungen mit anderen Organisationen und dem Staat lernten einige vorsichtig zu sein (manchmal verstehen sie [z.T. durch die Effekte ihres Drogenkonsums]die Situation oder Zusammenhänge zwischen den Projekten nicht), da diese vielleicht in einem Moment versucht haben ihre Kinder in Zwangsobhut zu nehmen oder kennen das von Freunden. Misstrauen zu beseitigen benötigt viel Anstrengung und Kraft. Auf jeden Fall koordinieren wir unsere Arbeit regelmäßig mit Fenix.

Mittwoch, 6. April 2011

Zwischenbericht II

Seid meine letzten Zwischenbericht hat sich viel Verändert. Kulturelle und soziale aber vor allem professionelle Erfahrungen sind dazugekommen. Gedanken und Standpunkte haben sich verschoben. Durch eine ausführlich Reflexion und umfassenden Personalwechsel konnten wir als Team gemeinsam das Chaos und Desorganisierung verlassen hinzu zweckmäßigen und umfassenden Arbeiten. Die Fundación Estrellas En La Calle ist nun wesentlich weiter auf dem Weg vorangeschritten ihre Vision zu erreichen. Gleichzeitig kann ich nun in meinem Beruf vollwertig arbeiten und werde darin immer weiter gefordert. Ich habe meinen Platz gefunden und setze eigene Ideen um. Dies geht soweit, dass ich mich in Teamsitzungen stark für z.T. eigene Ideen einsetze und für mich dadurch weiterführende Arbeitsbereiche und Verantwortlichkeiten entstehen, als sie anfangs vorgesehen waren. So muss Arbeit sein. Jetzt entspricht sie trotz noch immer greifenden kulturellen Unterschieden meinen Vorstellungen und lässt mich friedlich zu Bett gehen.

Zudem kam ich mit neuer Energie aus meinem Zwischenseminar zurück ins Projekt, die bis heute noch allen zu Gute kommt. Wir tauschten uns viel über unsere stark voneinander unterscheidenden Leben und Arbeitsstellen aus und den dazugehörigen Erfahrungen. Bei Bedarf konnte auch Rat in der Gruppe gefunden werden. Doch am angenehmsten war es, dass ich in Einzelgesprächen viel über die anderen erfuhr und gleichzeitig meine eigene Zeit als entwicklungspolitischer Freiwilliger reflektieren konnte. Dabei fielen mir viele professionelle Aspekte auf, die ich verstärken oder ändern wollte. Im Zuge dessen bemerkte ich erneut Unterschiede der Arbeitstechniken und Grenzen meiner Arbeit.

Am Ende meines zweiten Quartales erhielt ich eine E-Mail von YAP-CFD, in der mir mitgeteilt wurde, dass sich die Bundesregierung dazu verpflichtet hat ihre Entwicklungshilfe von momentanen '0.35 Prozent auf ganze 0.7 Prozentpunkte ihre Wirtschaftskraft' aufzustocken. Im ersten Moment freut mich dies sehr zu hören. Denn aus weltweiten Nachrichten, Erzählungen meiner Mitmenschen und meinen eigenen Erfahrungen weis ich sehr gut, wie sehr verschiedene Länder unserer Welt Unterstützung benötigen. Durch Kolonialisierungsprozesse und noch immer beeinflussende kapitalistische Marktstrukturen fällt es vielen Ländern dieser Erde schwer, sich aus ihren z.T. eingefahrenen Positionen und internationalen Abhängigkeiten selbstständig heraus zu manövrieren. Doch stellt sich für mich die Frage, ob dies mit einem noch größeren Übermaß an unausgebildeten jungen Freiwilligen geschehen kann. Auch in unserem Zwischenseminar stellten wir fest, dass unsere Arbeit kleinste Früchte trägt und dies auch nur bei großer Anstrengung. Wer diesen Dienst zu rein egoistischen Zwecken benutzen möchte, freut sich sehr über sein staatliches Teilstipendium. Veränderungen können über große Zeiträume hinweg gesehen werden.
Leider beherbergen viele mir bekannte Arbeitsstellen mehr Freiwillige, als sie an eigenem Personal beziehen. Wo bleibt da integrative Arbeit zum Nutzen der lokalen Bevölkerung? Bringen unerfahrene Freiwillige so einen großen Nutzen mit sich, als dass sie so monopolisiert eingesetzt werden sollten oder stellt das Geld einfach nur die Attraktivität dessen dar? Wazlawik schrieb in seinem Buch „Die Anleitung zum unglücklich sein“, dass „mehr des selben“ nicht zwingend einen höheren Erfolg mit sich bringt. Auch muss die Art und Weise betrachtet werden. Denn einer im Internet kurierender Scherz besagte, dass das BMZ fürs kommende Jahr alle weltwärts-Stellen mit sofortiger Wirkung gestrichen hat, da die Unnützlichkeit und Fehleinsetzung von Freiwilligen ihre Finanzierung nicht mehr rechtfertigen könne.  Natürlich stellt dies eine Extremposition dar. Doch erzählt sie auch ein Stückchen Wahrheit, die sehr genau evaluiert werden muss, bevor deutsche Ministerposten wohltätig kundtun, welche Fürsorge Deutschland für andere Länder übrig hat. Da in unserem momentanen wirtschaftlichen System beständig eine Kosten-Nutzen-Rechnung erstellt wird, sollte dies auch in diesem Bereich erstellt werden.

Ich möchte hiermit nicht ausdrücken, dass entwicklungspolitische Freiwillige keinen Nutzen bringen, denn schließlich merke ich jeden Tag, welche Veränderungen und Unterstützungen ich täglich in meiner Arbeit erwirken kann. Ansonsten wäre ich auch äußert unzufrieden. Wie in meinem professionellen Leben auch spielt affektive Evaluierung eine Schlüsselrolle.

Montag, 7. März 2011

Proteste


Kapitalismus in Verbindung mit Globalisierungsstrukturen birgt bekanntermaßen nicht gerade die Sicherheit vorm Herrn. Preisschwankungen durch aberwitzige wirtschaftliche Prozesse stehen an der Tagesordnung. Kürzlich erklärten mir einige Menschen, wie damit wiederum auch noch Geld „verdient“ werden kann: Mensch muss an den Aufstieg sowie Untergang unterschiedlicher wirtschaftlicher Sektoren glauben, darauf sogar hoffen. Nichts desto trotz kenne ich aus Deutschland stabile Preise. Seid meiner Grundschulzeit kaufe ich im Supermarkt Cerealien für den gleichen Preis. Ich komme aus dem Urlaub wieder und finde noch immer die gleichen Preise zu den jeweiligen Gütern. Auf dem anderen Teil der Erde, der Kehrseite des erstaunlicherweise anerkannten Wirtschaftssystems sieht die ganze Sache wesentlich anders aus.

Ich habe mit Absicht noch nicht vorher darüber berichtet, um abzuwarten, was noch alles auf die bolivianische Bevölkerung zukommt. Doch jetzt kommt ein kleiner chronologischer Abriss. Nach Weihnachten beschloss der bolivianische Präsident Evo Morales die Subvention des Benzinimportes mit einem Schlag einzustellen. Da Bolivien reichliche Gasvorkommnisse aufweisen kann, hat sich die Gesellschaft stark auf deren Nutzung eingestellt. Viele Autos besitzen schon seid langer Zeit Gasmotoren, über die in Deutschland noch diskutiert wird. Die Menschen dieses Entwicklungslandes haben es sogar geschafft, in ihre Autos ein für mich unerklärliches System einzubauen, welches ihnen erlaubt, während der Fahrt zwischen Gas- und Benzinzufuhr zu wechseln. Leide kann das nur in PKWs vorgefunden werden. Alle großen Fahrzeuge, die für Ferntransporte verwendet werden (die einzige Zugverbindung befördert hauptsächlich Touristen, der Rest rollt über die Straßen), benutzen nachwievor Benzin. Eigene Erdölvorkommnisse wurden in Bolivien noch nicht gefunden, weswegen diese komplett importiert werden. Da Bolivien in Lateinamerika mit zu den günstigsten Ländern zählt, wären die ausländischen Benzinpreise für die hiesigen Menschen nicht bezahlbar. Somit subventioniert die Regierung den Import um fünfzig Prozent. Dies nutzen die Nachbarstaaten, indem sie ihr ursprüngliches Benzin reimportieren, legal und illegal. Bolivien kauft dieses dann erneut wieder ein und belastet seine Wirtschaft extrem. Deswegen wurde die Unterstützung über Nacht eingestellt. Der Benzinpreis verdoppelte sich also schlagartig.

Am nächsten Tag fuhren kaum noch Verkehrsmittel, auch im öffentlichen Transport sah es mager aus. Die Menschen empörten sich sofort, schimpften und der Nahverkehr nutzte es aus, indem sie das Transportgeld mit dem Argument des Benzinpreises verdoppelten, obwohl sie natürlich mit Gas fuhren und sich an dem Preis nichts geregt hatte. Zur Folge stiegen auch die Lebensmittelpreise an, denn diese werden schließlich in LKWs befördert. Einige Banausen bunkerten auch ihre Produkte, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu verkaufen, wenn sie einen höheren Preis rechtfertigen können. Gleichzeitig bestand ebenso die Befürchtung einer Lebensmittel Knappheit wie zu den Zeiten des Wasserkrieges, weswegen auch Güter zurückgehalten wurden. Die Opposition brachte am gleichen Tag das Gerücht in die Welt, dass am Abend alle Banken für unbestimmte Zeit geschlossen werden, so wie vor Jahren in Argentinien. Dementsprechend ließen die Menschen ihre Abreit liegen und hoben all ihre Ersparnisse ab. Stundenlange Schlangen bildeten. Die Banken standen vor einem Chaos. Evo Morales entsandt sofort eine Videobotschaft an alle öffentliche Fernseher, um der Panik entgegenzuwirken. Für die nächsten Tage kündigten sich Demonstrationen sowie Blockaden aller Zufahrtsstraßen Cochabambas. Nicht nur für mich viel damit die Arbeit aus, da zeitgleich die Taxifahrer als einziges Transportmittel unglaubliche Preise verlangten. Sowieso könnte sie es niemand leisten, den ganzen Tag mit Taxi unterwegs zu sein. Über den Jahreswechsel wurde die Subvention wieder eingesetzt (der Benzinpreis sank fast aufs alte Niveau) und alles beruhigte sich kurzzeitig wieder.

Nichts desto trotz stiegen einige Preise weiterhin unaufhaltsam an. Vor allem kann dies am Zucker bemerkt werden. Am Jahresanfang 2010 kostete der Sack ca. 150Bs. Während des Jahres stieg der Preis gering an. Im vierten Quartal erlebte er jedoch einen starken Aufwind, was seinen Höhepunkt um den Jahreswechsel herum fand. Allein in diesen zwei Wochen stiegt der Preis zwei Mal an, insgesamt um über 100Bs, was den Preis auf jetzige 480Bs pro Sack bringt. Miete eines kleinen Zimmers in einer gefährlichen Gegend liegt um 300Bs, ein geringer Monatslohn (wie z.B. in der Fundación) bei 1500Bs. Hier muss sich jetzt verdeutlicht werden, für was alles Zucker verwendet wird. Mir kommt es so vor, als ob er überall drin steckt. Zudem verwenden ihn die Bolivianer im deutschen Maßstab unglaublich viel mehr, wodurch viele Preise anstiegen.

Die Chauffeure des Nahverkehrs reklamieren jetzt, dass sie mit ihrem Gehalt ihre Familien nicht mehr unterhalten können. Seid einem Jahrzehnt sind die Transportpreise trotz sonstigen Preiserhöhungen nicht angestiegen. Jetzt sei ein Limit erreicht, an dem sie ihre Familien in Gefahr sehen. Der Mindestlohn liegt unter 1000Bs und sie verdienen um die 2500Bs monatlich, müssen sich zudem mit 1500Bs in die Linien des Nahverkehrs einkaufen und ihr eigenes Auto mitbringen. Privat rollt natürlich noch ein anderes Flitzer über den Asphalt, bestätigte mir neulich ein Fahrer. Allzu schlecht geht es ihnen mit ihrem mittelmäßigen Lohn nicht. Trotzdem wollen sie den Fahrtpreis von 1,50Bs auf 2Bs anheben. Dies macht den Unterschied von einem Brötchen oder halben Liter Wasser aus. Da ich an einem Tag an zwei verschiedenen Orten arbeite und zwischendurch umsteigen muss, bezahlte ich somit täglich 2Bs mehr (monatlich ca. 55Bs). Dies ist für viele Menschen mit einem Geringeinkommen unmöglich aufzubringen, weswegen die Regierung nach kurzer Zeit der Freiheit, in der die Buslinien eigene Preise festgelegt hatten, mit Repressionen reagierte.

Plötzlich liefen verschiedene Bewegungen durch die Innenstadt. Die Chauffeure, um die Preise anheben zu dürfen, und deren Gegner, deren Geldbeutel dies nicht verkraften würde. Aus Erfahrungen heraus ist bekannt, wie sehr das städtische Leben vom Nahverkehr und den Zufahrtsstraßen abhängt, weswegen ein Totalstreik der Trufi und Micro eingelegt wurde. Zunächst nur zum Mittag- oder/und Morgenverkehr. Später fuhren nur noch vereinzelt Busse. Da die Regierung stur auf ihrem Kurs blieb, fuhr schließlich gar nichts mehr. Zufahrtsstraßen sowie Brücken und Innenstadt wurden blockiert. Zudem zogen beständig Demonstrationen durch die Innenstadt.

Zufällig sah ich den einen Tag einen Protestmarsch vorm Rathaus. Viele Menschen standen rum, unterhielten sich, ließen Feuerwerkskörper in die Luft steigen und warfen die Überreste sowie sonstigen Müll in das Lagerfeuer vor der Tür des Rathauses. Die Polizei stand in Reihe davor, vereinzelt mit Schild, Helm oder Gasmaske ausgerüstet. Selten konnte ich Rufe oder gar Sprechchöre erhaschen. Mir kam das Ganze sehr ruhig und friedlich vor. Komplett anders als in Deutschland. Ca. tausend Menschen wurden von vielleicht 20 Polizisten betreut, die viel verstrichener Zeit das Lagerfeuer ohne Protest löschte.

Durch die Blockaden, Märsche und fehlenden Verkehr konnte, musste und durfte (aus Sicherheitsgründen) einige Tage nicht arbeiten, sowie viele andere Menschen auch. Tourismus sowie Lebensmitteltransport war kurzweilig unmöglich. Die Innenstadt wirkte ohne all die Arbeiter wie ausgestorben. Obwohl, die Demonstration sorgten für ein anderes Bild von Leben.

Nachwievor ist die Situation nicht geklärt. Zumindest fahren alle Busse wieder, zeitweilig weniger frequentiert. Ich denke, dass dies mit dem Karneval zu tun hat, weswegen der öffentliche Druck aus der Bevölkerung ausreichend groß ist, dass vorerst pariert wird. Zeitgleich finden weiterhin Aufmärsche statt, die den öffentlichen Verkehr behindern aber auch bedrohen. Dies erklärt sich so. Während Blockaden fuhren trotzdem versteckt einige Trufis oder es bildeten sich Sammeltaxis z.B., was offensichtlich gegen die Idee eines Totalstreiks geht. Dadurch zerstachen aufgebrachte Chauffeure reifen oder zerstörten Fensterscheiben. Deswegen geben die Linien Warnung raus, wenn Demonstrationszüge durch die Stadt streifen. Dementsprechend verdünnt sich der öffentliche Verkehr damit.

Nicht nur ich, sondern alle Menschen warten gespannt, wie sich die Situation weiterentwickelt bzw. löst.

Donnerstag, 3. März 2011

triste


Schon oft wurde ich in E-Mails oder Telefonaten gefragt, wie es mir denn wirklich ginge. Aus weiser Kenntnis war vielen anscheinend bewusst, dass ich hier eher weniger über meine Gefühlslage schreiben werde. Nicht aus einem großen Bedürfnis oder gar bedrohlicher Schieflage heraus möchte ich dem entgegenwirken.
Oft überrascht es mich selber, was in mir vorgeht und woher diese Regungen rühren. In meinem Zwischenseminar in Quito, auf welchem ich vor kurzem erst war, erzählten viele in ihrer Gefühlskurve, dass sich ihre Gemütslage drastisch mit der einsetzenden Regensaison herabsetzte. Verstehen konnte ich das zu dem Zeitpunkt kaum. Durch den globalen Klimawandel hat sich die nasse Jahreszeit in Bolivien um ganze DREI Monate verschoben, weswegen ich erst nach meiner Rückkehr Anfang Februar täglich begossen wurde. Durch politische Höhepunkte, von denen ich in meinem nächsten Eintrag berichten werde, und kurzer Krankheitsphase (der Arzt meint, dass ich durch schlechte Lebensmittel temporär erkrankte) kam es zusätzlich dazu, dass ich mehrere Tage in meiner Wohnung verbrachte. Durch beständigen Regen musste ich jedoch in meinem kleinen Zimmer bleiben.
Obwohl ich noch zu Begin des zweiten Monats des Jahres vollauf begeistert von meinem bolivianischen Leben berichtete, fühlte ich mich in letzter Zeit niedergeschlagen. Kaum freute ich mich noch über die kleinen Dinge des Lebens. Selbst mein Lachen verschwand kurzzeitig. Vieles erschien mir einerlei. Pure Monotonie stumpfte mich ab. Schon oft durchlief ich solcherlei Zeiten, entwickelte über die Jahre Strategien diese zu überwinden. Doch irgendwie sollten diese nicht funktionieren. Da wir seit vier Wochen kein fließendes Wasser haben, konnte ich nicht einmal duschen oder mir Kaffee sowie leckeres Essen zubereiten. Filme ödeten mich an. Auch meine Lieblingsmusik von Tool sollte mich dieses Mal nicht beleben. Viel blieb in meinem Repertoire nicht mehr übrig, was mich noch weiter irritierte und deprimierte. Logischer Weise konnte ich da auch kaum noch Licht am Ende sehen. Nur meine Logik versprach mir, dass es irgendwann schon besser werden wird. Da Helena selbst auf Reisen ist, blieb mir nur die Gesellschaft von Johannes, welche mich nicht wirklich aufmuntern konnte. Sie bewirkte das Gegenteil. Mein geliebtes Heim, welches ich gerne zur Erholung aufgesucht hatte, verbreitete eine ungemütliche Stimmung. Also entschloss ich mich, mich so viel wir nur möglich außerhalb aufzuhalten, mich mit Freunden zu treffen. Doch Magenschmerzen und Durchfall sowie Regen setzten da klare Grenzen. Hinzu kommt meine negative Gemütslage, die es mir kaum erlaubte, mich ganz platt gesagt zu vergnügen. Ich bin wirklich froh bolivianische Freunde zu haben, doch ist es nicht das gleiche, wenn ich mich mit meinen berliner Freunden treffe. Auch wenn ich mich schon sehr an die hiesige Kultur gewöhnt habe, sind Treffen nicht ganz so erholsam und beruhigend wie in der Heimat. Der Strudel dreht sich also weiter. Um mich eigentlich abzulenken, verlasse ich mein Haus und schaffe es doch nicht. Immer öfter dachte ich daran, wie angenehm es doch wäre, ein Bier in den tollen berliner Kneipen sowie einen Kaffee mit Freunden zu genießen. Natürlich mache ich solcherlei Dinge hier auch. Mehrere Jahre Freundschaft bewirken aber einfach ein wesentlich aufbauendes sowie erholsameres Verhältnis. Wenn ich mit mir selbst nur noch wenig klar komme, hilft es mir sehr gut, die behutsamen Fänge von Freundschaften aufzusuchen. Doch noch wirken diese hier nicht allzu nachhaltig, weswegen ich just genauso niedergeschlagen in mein nasses, ungemütliches Heim zurückkehrte.

Für all die besorgten Seelen möchte ich hinzufügen, dass ich heute während einem vollen und einnehmenden Arbeitstag in Sonnenstrahlen gebadet wurde. Welche Auswirkungen dies haben kann! Ich fühle mich wesentlich besser, habe diese bedrückende Haube anscheinend abgelegt, wodurch frischer Wind meine tristen Hirnzellen belebte. Hoffentlich bleibe ich in diesem Fahrtwind noch eine ganze Weile.