Sonntag, 31. Oktober 2010

Raub

Im Nachhinein hört sich selbst für mich die Geschichte wie aus dem Lehrbuch an. Deswegen bitte ich dich um den Versuch, dich empathisch in die Situation hineinzuversetzen, um zu verstehen, wie es dazu überhaupt kommen konnte.

Nach der Arbeit fuhr ich wie gewohnt mit dem Trufi 010 vom Casa Coyera nach Hause, vollkommen versunken in meinen Gedanken ließ ich den Tumult der Großstadt an mir vorbeiziehen, ohne ihn wirklich zu bemerken. Meistens nutz ich die Zeit im Bus, um mich auszuruhen, die Arbeit zu reflektieren oder einfach irgendwelchen anderen Gedanken nachzujagen. Da der Trufi 010 direkt durch die Cancha (der große und äußerst chaotische Markt, auf dem alles Wünschenswerte angeboten wird) fährt, saßen wir dort im Feierabendverkehr bestimmt 15 Minuten fest. Nichts ungewöhnliches. Die pralle Sonne trieb mir Schweiß auf die Stirn. Danach führen wir weiter über die San Martin Richtung Stadion, wo ich dann endlich aussteigen kann. Doch bis dahin soll in diesem herrlich chaotischen Verkehr noch eine Menge Zeit verstreichen. Da zu dieser Zeit so gut wie alle nach Hause stromern, stiegen nun nach und nach immer mehr Leute ein und folgten der Stille der andere Passagiere. Ich überlegte, angeregt durch die lecker riechenden Backstände der Cancha, ob ich nicht gleich bei meiner Bäckerei vorbeigehe und endlich mal deren Süßigkeiten ausprobiere. Als wir dann am Plaza Colon voreigefuhren sind, sich der Verkehr aus seinem Stocken herauslöste, stieg zu guter letzt ein Mann ein, der hinter mir Platz nahm. Sofort tippte er mir auf die Schulter, um mir mitzuteilen, dass ich Dulce de Leche (karamellisierte Milch) im Haar habe. Die verstand ich zunächst erst falsch und dachte, dass er mich wie so viele andere bereits zuvor auf meine Dreads ansprechen möchte. Da er aus meiner Reaktion herausnehmen konnte, dass ich ihn nicht richtig verstanden habe, zeigte er auf die Wand neben mir, wo auch ein bisschen von dieser eigentlich leckeren Paste klebte. Ich fasste mir sofort ins Haar, wo mich ein riesiger Haufen -jetzt auch an meinen Fingern- begrüßte. Welches Kind hat da den sein Essen an die Wand geschmiert, dachte ich in meiner Verärgerung sofort. Aber gleich war ich zu Hause, um mich von meinem Glück zu befreien. Doch mit klebrigen kann ich nicht einmal mein Portemonnaie aus meiner Hosentasche holen. Somit fragte ich alle Anwesenden, ob sie Taschentücher bzw. Klopapier dabei habe. Der Mann, der mich auf diesen wunderbaren Klecks angesprochen hat, zog so allerlei aus seiner Hosentaschen: eine Tüte, Müll, Schrauben und Klopapier. Ich machte mich als daran, meine Finger zu säubern. Da die Straßen Cochabambas eigentlich immer dieses schöne deutsche Verkehrsschild „Achtung Straßenschäden und Bodenwellen“ verdienen, fuhren wir auch jetzt in ein Schlagloch, wodurch just der selber Mann seine Schrauben aus der Hand verlor und überall im Trufi verteilte, auch auf meiner Sitzbank. Ein Finger musste noch gesäubert werden, danach wollte ich ihm beim Einsammeln helfen. Doch ungeduldig wie er war, forderte er mich beständig auf, ihm endlich seine Schrauben zu geben. Die Erklärung meines Vorhabens sollte ihn aber auch nicht beruhigen, eher fing er an mich von hinten ein wenig zu wegzudrücken, damit ich aufstand. Der Mann neben mir wirkte von der Situation auch reichlich genervt und stand auch nur wiederwillig auf. Er beugte sich als über die Sitzbank über und sammelte alle Schrauben ein. Doch auf dem Fußboden selbst lag noch mein Beutel, denn ich lieber schnell wieder an mich reißen wollte, bevor noch etwas draus geklaut wird. Ich setzte mich mit meiner typischen Handbewegung, Hände auf die Hosentaschen legen, um zu kontrollieren, ob noch alles da ist, hin. Sofort merkte ich, dass mein Portemonnaie fehlt. Um sicher zu gehen, dass ich gerade in ein Ablenkungsmanöver geraten bin, vergewisserte ich mich, dass es auf meinem alten Platz nicht mehr liegt. Doch was soll ich jetzt machen? Die vier Herren, die sich alle um mich herum gesetzt hatten und für mich nun zusammen gehörten, direkt darauf ansprechen? Um die Aufmerksamkeit der anderen Passagiere sowie Fahrer für mich zu gewinnen, den Trufi anhalten und es ansprechen? Plötzlich sah ich, dass mein Portemonnaie perfekt neben der Sitzbank auf dem Fußboden lag, als ob jemand aufgeräumt hat. Zum Glück stellte ich fest, dass nur der 20Bs (ca. 2€) Schein fehlt, alles andere, was auch nicht wirklich ein Wert für einen Dieb hat, war noch da. Während all dessen stieg einer nach dem anderen an unterschiedlichen Stellen aus, so wie sie auch nicht zeitgleich zugestiegen sind. Ich überlegte noch, ob ich sie auf meinen Geldverlust ansprechen sollte? Beim herausgehen gab mir der letzte noch ein bisschen mehr Klopapier zum säubern. Die anderen Passagiere kommentierten nun direkt, wie clever der Plan durchgeführt war und erkundigten sich nach meinem Verlust. Ich antwortete kurz und musste nun aussteigen. Zum Glück war auch noch mein Kleingeld da, um den Trufifahrer zu bezahlen. Vor lauter Verärgerung kaufte ich mir jetzt erstrecht etwas Leckeres beim Bäcker. Nebst dem unangenehmen Gefühl wirklich immer ein wenig misstrauisch durch die Welt zu laufen, ärgerte mich am meisten, dass ich mir jetzt meine Haare waschen muss, die bis zu der Geburtstagsfeier meines Freundes nicht trocken sein werden.

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