Sonntag, 30. Januar 2011

Mein Heim

Mehrfach wurde ich nach meiner Wohnung gefragt, da allein das Wort Dachterrasse Interesse weckt und doch herausgefunden werden möchte, wie ich in bolivianischen Verhältnissen lebe. Vor meinem Abflug wurde mir selbst nur mitgeteilt, dass die Fundación eine Wohnung für mich gefunden hat. Mehr nicht. In meinem Sitz des Flugzeuges saß ich als grübelnd, wie meine neue Heimat nun aussehen wird. Als ich dann dorthin gefahren bin, konnte ich es kaum glauben, dass sie mich nicht reinlegen wollen. Doch die Müdigkeit zwängte mich dazu, einfach schlafen zu gehen. Der nächste ag sollte dann den Freudesschlag bringen.

Meine Strassenecke
Mein Haus liegt in einer recht wohlhabenden Gegend, was an den verzierten Häusern, mehreren Autos pro Familie und dem täglichen sowie nächtlichen Wachtpersonal einiger Hauseigentümer zu erkennen ist. Nichts desto trotz freuen sich auch Diebe immer mal wieder über reiche Beute. Denn wer etwas hat, dem kann es auch abgenommen werden. Die Straßen sind mit Zier- und Zitronenbäumen, Blumen und einem Park verschönert worden und werden auch regelmäßig gepflegt. Die eine Häuserecke naheliegende Kirche sorgt für die spirituelle sowie ein äußerst gut sortierter Einkaufsladen für häusliche Versorgung. Leider fehlt ein Obstladen. In 20 Gehminuten stehe ich im Zentrum der Stadt bezahle für die 5 Minutenvariante 1,50 Bolivianos (15 Cent). Von meiner Wohnung, speziell aus meinem Zimmer kann ich den Christus, der der größte der Welt ist, sowie das Stadion sehen und hören. Dort befindet sich auch meine Lieblingsbäckerei, die für hiesige Verhältnisse das beste Schwarzbrot bäckt. Es wird nämlich zur Abwechslung ohne Zucker und vielen verschiedenen Getreide- und Körnersorten zubereitet. Die Bäckersfrau brachte diese Rezepte aus ihrem Aufenthalt in den Niederlanden mit, weswegen noch so manch andere europäisch gewohnte Leckereien verputzt werden können. Hier kaufe ich auch täglich Brötchen für meine Arbeit Inti K’anchay ein. Mittlerweile muss ich schon immer auf die Uhr schauen, dass ich mich nicht mit ihr verquatsche.


Ausblick aus meinem Zimmer auf den Christus
Auf dem dreistöckigen Haus wurde anstelle eines einfachen Daches eine Dachterrasse mit drei kleinen Zimmern und Bad konstruiert. Der große überdachte Grill bietet gleichzeitig eine relativ regengeschützte Kochecke. Alles wurde sporadisch und funktional eingerichtet. Der Kühlschrank steht auf der Ablagefläche des Grills, darunter steht ein kleines wackeliges Drahtgestell, welches so einige Lebensmittel beherbergt. Auf der anderen Seite des Grills wurden ehemalige Postpakete der vorherigen Freiwilligen aus Deutschland zum Verstauen von weiteren Lebensmitteln und Gewürzen weiterfunktioniert. Davorstehend wurde ein Tisch mit zweiflammiger Herdplatte, wie sie mensch aus Campingwagen kennt und auch mit großer Gasflasche betrieben wird, als Kochecke vorgesehen. Unseren klappbaren Esstisch haben wir mittlerweile schon mehrmals umgestellt. Platz gibt es ja schließlich reichlich.

Johannes in unserer Kueche

Da in Bolivien nachwievor die Sorge besteht, dass eine Waschmaschine die Kleidung schneller kaputtgehen lässt, wird noch immer alles per Hand gewaschen. In den meisten Fällen fehlen aber auch einfach nur die finanziellen Mittel. Zwei Waschbecken mit Ablageflächen sollen uns zu diesem Abenteuer wöchentlich motivieren. Fehlgeschlagen! Im hinteren Teil der Wohnung sind zwei Leinen aufgespannt worden, wo wir die tropfnassen Klamotten in der Sonne brutzeln lassen können. Doch darf nicht vergessen werden, dass der Wind uns gerne Streiche spielt und wie ein kleines freches Kind, die saubere Kleidung mit Vorliebe runter reißt.

Meine Huette
Neben der Badezimmertür können in einem weiteren Klappergestell das frisch gespülte Geschirr verstaut werden. Dies ist der einzige winzige Ort, der durch einen kleinen Dachüberschuss vor dem Regen geschützt bleibt. Nichts desto trotz spülen wir jedes Mal Dreck von den Tellern, da Cochabamba zu den zehn luftverschmutzten Städten der Welt zählt. Die Gläser erscheinen nach paar Wochen wie 10 Jahre alte. Daher könnten wir jeden Tag zwei Mal alle Flächen fegen sowie wischen und doch keine Sauberkeit erzeugen. Putzen erholt daher nur bei psychologischem Geschick, denn das Auge dokumentiert eine andere Realität.

Bei Regen
Das Bad wurde mit dem Nötigsten ausgestattet: Klo, Waschbecken, Wage, Spiegel, warme! Dusche und einen Mülleimer für alle benutzten Papiere. Diese müssen dort unbedingt entsorgt werden, um keine Verstopfung leichtsinnig hervorzurufen. Das geht wesentlich schneller aus der Europäer es glaubt.

Ein Ausblick auf den Norden Cochabambas
Die drei Zimmer sind alle gleich ausgestattet: Harte und schon durchgelegene Matratzen auf einem Holzgestell, begleitet mit Holznachttisch und –Kommode, eine Tischlampe und Spiegel. Fliesenboden sorgt für bessere Sauberkeit. Meine beiden Mitbewohner Johannes und Helena können durch ihre Fensterfront auf die Wohnung schauen, während ich Intimität und Blick auf Cochabamba genieße.

Platz gibt es genug
Unter uns wohnt eine Familie mit einem kleinen Mädchen und Hund, der nicht mehr richtig hören kann und im Treppenaufgang auf 2qm eingepfercht mit seinen eigenen Exkrementen spielt. Mit der lieben Dame, in zweiter Bewohnergeneration bereits auch Hexe genannt, machten wir gleich recht zügig Bekanntschaft, da sie sich eines Abends über den unverhältnismäßigen Lärm des Gitarrenspiels beschweren kam. Unsere Beziehung hat sich seid dem nur noch weiter ins Absurde verändert. Mehrmals wollte sie in unserem Waschbecken einen Eimer mit Wasser auffüllen, was jedoch immer nur zu erledigen schien, als uns Freunde besuchten. Ohne unser Beisein, geschweige denn Zustimmung schickte sie heimlich geschossene Fotos unserer Wohnung an die Hausherrin, um sich über uns zu beschweren. Wir schmissen mehrmals monatlich Feiern, empfangen täglich Besuch von mindestens 10 bis 20 Menschen, mit denen wir Drogenexzesse feiern. Die Hausherrin ruft dann furchtbar besorgt aus den USA unten bei Doña Miriam an, die in ihrer Abwesenheit für das Haus zuständig ist. Gleichzeitig wirft sie für die Fundación auch ein liebevolles Auge auf uns. Ihre Tochter arbeitet dort als Buchhalterin und sie als Köchin im Restaurant „Kartoffel“. Unsere liebste Mieterin möchte nun bald ausziehen und die Besitzerin im Februar zurückkommen.

Cochabamba bei Nacht

Mittwoch, 19. Januar 2011

Jahreswechsel


Mit Absicht hatte ich mir für Silvester nichts vorgenommen, denn aus den Jahren davor musste ich schmerzhaft lernen, dass kurz vor knapp immer noch Einladungen eintrudeln. Diesen konnte ich sonst nie nachkommen. Außerdem wussten alle meine Freunde selbst noch nicht, was sie machen werden. Planen wollten sie auch nix im Voraus. Abwarten hieß also die Devise, was mir sehr entgegen kam. Am Nachmittag hatten wir spontan Capoeira, wofür Matteo extra angekündigt hatte, dass es hart wird, da wir nach drei Monaten dann doch auf das nächste Level steigen müssten. Bei einem Bier danach lud er mich zu der Krankenschwester der Fundación Barbara ein, falls ich am Ende doch nichts vorhaben sollte.

Vorher rief mich mein Kumpel Fernando mitten  in einem Telefonat an und schrieb mir, dass er doch schon aus Santa Cruz zurückkommen wird und gerne mit mir feiern möchte. Als ich dann bei heftigstem Regen, den ich je in Cochabamba gesehen habe, bei mir zu Hause saß (vorher watete ich durch knöchelhohes Wasser, da der Abfluss durch eine Tüte verstopft war), konnte ich niemanden erreichen. Entweder hieß es, dass das Handy nicht gefunden werden kann oder niemand antwortet. Da wir seid tagen auch kein Gas mehr zu Hause haben, da seid langem keine Gasflaschen an die Läden geliefert wurde, wollte ich nicht mit Hunger bis spät in die Nacht warten. Somit fuhr ich mit Matteo Richtung Quillacollo. Doch leider war ich dort mit Abstand der jüngste und fühlte mich auch so. Alles ging sehr erwachsen/gesittet zu. Später wurde der Grill angeschmissen, weswegen wir, auch wenn es himmlisch lecker war, erst gegen 23.45 Uhr aßen. Mein Hunger brachte mich vorher fast um. Doch wie es sich bei Italienern so gehört, gab es zum Abschluss einen leckeren Espresso. Danach schwenkten wir über zur bolivianischen Kultur: Verbrannten in der K’oa ein Papier mit Wunschtafeln aus Zucker, einigen Kräutern und sträubten darüber einige Coca-Blätter. 



Dann kippte jeder in die vier Ecken puren Alkohol und stieß mit dem Rest mit pachamama an. Dabei durfte jeder dann auch eine kleine Rede halten. Schlussendlich wurde Singani ausgepackt, während ich endlich meine Freunde erreicht hatte. Einige waren mit ihren Familien unterwegs oder auf dem Weg in eine Disko mit 100Bs Eintritt. Fernando war auf einer Party, zu der ich später noch dazu stieß. Sie saßen alle ums Lagerfeuer herum und hörten den Trommelklängen zu. Wenig wurde gesprochen, pure sowie warme Liköre gingen rum und einige kauten auf ihren Coca-Blättern herum. Zwecks Essenssuche ging ich irgendwann mit Fernando loß, wobei uns ein amerikaner mit super starkem Akzent begleitete.

Als er herausfand, dass ich Berliner bin, zählte er mir all seine politischen Arbeitsgruppen weltweit auf. Es wusste aber trotz seiner politischen Fachkenntnisse nicht einmal annähernd, wann die Mauer gefallen ist, denn er fragte mich immer wieder, ob ich im Ostteil geboren wurde. Schlussendlich interpretierte er aus meiner Antwort, dass ich aus Berlin komme und es nur eins gibt, dass ich die Vergangenheit leugne und vor alle den Kapitalismus aus dem „Westen“ vorziehe. Energisch griff ich in seinen fünfminütigen Monolog ein und erklärteihm, dass der Mauerfall exakt 21 Jahre her ist und die Menscheit sein langem schon angefangen haben muss zu erkenne, dass es nur noch ein Berlin gibt und der Rest aus den Fingern gesaugt ist. Doch bis dies ein äußerst selbstüberzeugter Saufbold versteht, hat ein Baby schon die Logarithmus-Rechnung verstanden.

Äußerst genervt, da er mit seinem Krempel nicht aufhören wollte, aß ich mein trancapecho. Langsam ging die Sonne auf, die Kälte verschwand und das Jahr 2011 strahlte uns entgegen.

Montag, 17. Januar 2011

Eine froehliche Weihnachten

Als ich zum ersten Advent in Mizque war, fühlte ich schon nichts, was irgendwie an die letzte Zeit des Jahres erinnert. Dies änderte sich auch mit den folgenden Wochen nicht, obwohl in der Stadt Lichter ausgehangen wurden, die einen schrecklich dudelnden Ton von sich gaben. Durch den Regen kühlte sich das Wetter ein bisschen ab und die lateinamerikanische Christstolle paneton wurde an jeder Ecke angeboten. Doch nichts sollte mich auch nur annähernd in Stimmung bringen. E-Mails trällerten mir etwas von Kälte und Schnee vor, was mit heißem Grießbrei in aller Ruhe durchs Fenster schauend genossen wurde. Ich sorgte mich, dass ich abends noch eine dünne Hose waschen würde, um sie am nächsten Tag anziehen zu können. In meiner Jeans erlebte ich sonst den Hitzetod.

Nach zwei Wochen Jahresevaluation standen in meiner letzten Woche mehrere Weihnachtsfeiern an. Am Mittwoch frühstückten wir im Inti K’anchay paneton mit Schokoladenmilch. Während sich die Kinder und Jugendlichen an ihrem Festschmaus mit dem Filmmaterial unserer Theateraufführung erfreuten, tütete das Team für jeden eine Packung Kekse, einen paneton und ein eingewickeltes Projekt-T-Shirt ein. Die Mitarbeiter mussten übrigends 30Bs für ihr Shirt bezahlen, da es dafür in der Fundación nicht genügend Geld gibt. Zeitgleich wirbelte die Chefin Beatriz mit der Köchin Doña Vicenta in der Küche herum. Es sollte Mais, Kartoffeln, Backbananen und Schwein aus dem Ofen geben. Zur Halbzeit meldete sich dann das Hauptbüro und kündigte an, am Essen teilnehmen zu wollen. Nicole, die für área espiritual zuständig ist, führte mit den Kindern eine stark religiöse Aktivität durch, welcher ich insgesamt drei Mal beiwohnen durfte. Interessanterweise besuchten uns an diesem Tag wesentlich mehr Personen, denn viele hatten noch ihr Cousinen, Geschwister oder Freunde mitgebracht. Es wussten schließlich alle, dass wir ein Festmahl vorbereiten werden, was uns in die missliche Lage brachte, dass das Essen vielleicht nicht reichen wird. Doch eine ordentliche Küche kennt Mittel und Wege, dass am Ende alle genügend auf ihrem Teller finden werden. Nicole sprach dann noch ein sehr ausführliches Tischgebet, da dies ihre letzte Möglichkeit war, sich von den Kindern und Jugendlichen zu verabschieden, bis sie nach Deutschland zurückgehen wird. Leider musste ich zu diesem Zeitpunkt schon auf den Weg zu coyera machen. Mein Essen nahm ich glücklich in einer Tüte mit. Doña Vicenta freute sich dann noch, dass sie mir heute mal in ihrem Sinne ausreichend Essen mitgeben durfte. Ich fragte sie nämlich, ob ich einen Maiskolben auf der Hand mitnehmen darf. Besonders schön erschien es für sie zu sein, dass wir diesen kleinen Gefallen etwas heimlich abwickeln mussten. Aus den Videoaufzeichnungen weis ich, dass noch etliche Reden geschwungen wurden, auch vom Hauptbüro und alle glücklich mit ihren Geschenken nach Hause gingen.

In Coyera feierten wir zunächst den Geburtstag der Mitarbeiterin Rosemary. Da Oscar weis, dass ich unglaublich gerne süßes esse, schnitt er für mich ohne Widerrede ein erst recht großes Tortenstück ab. Anschließend spielten wir mit den Kindern der Gruppe 6 de Agosto Karten und Bingo, was mit einem leckeren milanesa-Sandwich abgerundet wurde.

Am darauffolgenden Tag holte ich einen jungen Herrn aus der Einzelfallhilfe von dem Unterprojekt Wiñana an unserem Standardcafé ab. Denn in Coyera wartete für alle Menschen aus diesem Projekt eine kleine Feier anlässlich der Geburt Christi. Nicole führte erneut ihre Aktivität durch. Danach sollte ein Familienkind den Weihnachtsmann spielen und alle eingewickelten Pakete verteilen. Bis auf die Kinder, welche mit Spielsachen überrascht wurden, wickelten alle Erwachsenen Kleidung aus, welche für gewöhnlich aus Spenden rekrutiert wird. Dazu hielt der Projektchef Oscar noch eine sehr bewegende Rede, in der er seine Hochachtung allen gegenüber ausdrückte. Er erklärte, dass wir alle den Hut ziehen müssen, wenn wir bedenken, dass sie alle ihr Leben geändert haben, jetzt mit ihren Kindern in Häusern wohnen und arbeiten. In einem Fall darf sogar notiert werden, dass dieser Mensch jetzt studiert. Sie kämpfen trotz ihrer Vorgeschichte, ihren Erlebnissen und ihren jetzigen Schwierigkeiten täglich ums Überleben, um das Wohl ihrer Kinder. Uns allen ist bewusst, welch eine Willenskraft und Stärke dies benötigt. Daher verdienen sie unser alle Respekt.

In dem Projekt Coyera arbeiten wir mit den Kindern direkt auf der Straße und versuchen sie zu motivieren, ihren Lebensstil zu verändern. Mit dem gleichen Team betreuen wir in dem Unterprojekt Wiñana die Menschen, die die Straße verlassen haben oder gerade ernsthaft dabei sind. Nähere Infos können auch auf der verknüpften Website der Fundación gefunden werden, die in mehreren Sprachen angeboten wird.

Wie immer bildete der Abschluss ein platito de la tarde. Doch hatten wir uns vorher schon darauf geeinigt, dass Hühnchen dem Anlass nicht würdig erscheint, da dies fast immer gegessen und in Wiñana serviert wird. Milanesa sollte es also richten.

Danach machten wir uns alle auf den Weg zum Restaurant „Kartoffel“ der Fundación, welches kürzlich nach seinem Umzug neu eröffnet hat und Arbeitsplätze für Menschen aus Wiñana oder den Eltern der Kindern von Inti K’anchay bietet. Zudem lernen jetzt drei ehemalige Jugendliche aus Inti K’anchay alle Geheimnisse der bolivianischen sowie deutschen Küche. Die Hoffnung besteht, dass das Restaurant auch zu einer relativ sicheren und stabilen Einnahmequelle der Fundación wird.

Hier fand die offizielle Weihnachtsfeier der gesamten Fundación statt. Zum letzten, aber für diesen Tag zum zweiten Mal hörte ich Nicoles Rede über Gott und dem guten Kern in jedem Einzelnen an, der durch ein biblischen Leben von seinen schmutzigen Hüllen befreit werden muss. Leider wurden dafür in allen drei Veranstaltungen äußerst plakative und inhaltslose Tätigkeiten sowie Eigenschaften angenommen. Das heftigste Beispiel für mich war, dass Nicole kommentarlos „gut sein“ (im Original „ser bien“) als Aspekt annahm, um seinen glitzernden, inneren Kristall an die Oberfläche zu befördern. Weitere Reden folgten, in denen jeder, der mochte, etwas kundtun konnte. Aus weiser Erfahrung aß ich den ganzen Tag über kaum etwas, dann wie immer stand ein Festmahl auf dem Programm. Salat, Kartoffelsalat, Reis mit Rosinen und Schweinefleisch wurden von den drei Jugendlichen serviert. Dazu schlürften wir leckeren mango-refresco. Zum Anstoßen gab es dann natürlich Bier. Victor (Großchef) kündigte an, dass die Fundación auch eine KLEINIGKEIT vorbereitet hat. Alle Mitarbeiter bekamen einen Präsentkorb überreicht, halt nur in einer großen Tüte. Später erfuhr ich, dass dies nur der bolivianischen Kultur entspricht. Nichst desto trotz überraschte und erfreute es mich sehr. Noch nie hatten wir so viele Lebensmittel zu Hause stehen. Im Anschluss ging ich dann noch mit einigen Freunden ein Bier trinken.

Für den 24. Hatte ich eine andere Freiwillige zum Frühstück eingeladen. Ich kaufte extra Vollkornbrot, welches ohne Zucker gebacken wird, und eine Weihnachtskranz für Doña Miriam, die Haushüterin, beim Bäcker ein. Leider kam sie dermaßen zu spät, dass wir nur eine halbe Stunde hatte, um all die Leckereien zu genießen. Vorher hatte ich nämlich mit meiner Mitbewohnerin Helena gebrannte Mandeln zubereitet. Es war schon recht komisch unsere selbstgebackenen Lebkuchen und Mandeln zu essen, während uns auf der Dachterrasse die Sonne den Schweiz auf die Stirn trieb. Aus der um die Ecker liegenden Kirche hörten wir sogar die altbekannten Weihnachtslieder, bloß dass sie auf Spanisch umgeschrieben wurden. Doch so richtig kam bei uns keine Weihnachtsfreude auf, mussten wir feststellen. Ich verabschiedete und überreichte einer später sehr glücklichen Familie ein recht elektronisches Geschenk. Ich rief in Deutschland per Internet zu Hause an. Ganze zweieinhalb Stunden später ging ich mit Helene zu Doña Miriam runter, um ihr all unsere Süßigkeiten zu überreichen. Sie lud uns natürlich zu einem leckeren durazno-refresco ein und quatschten eine Runde. Leider musste Helena recht zeitig wieder gehen, damit sie ihre Weihnachtsfeiere nicht verpasst. Johannes löste sie sie fast im fliegenden Wechsel ab. Gegen halb Acht rief mich dann mein Kumpel Alejandro an, um mir Bescheid zu sagen, dass wir uns in einer Stunde treffen werden. In aller Ruhe duschte ich mich, packte die Marzipankartoffeln für die Familie ein und rief Alejandro nach einer Stunde an, dass ich mich jetzt auf den Weg mache. Er selber war auch noch nicht angekommen. Wusste ich es doch.


Ich wurde der ganzen Familie persönlich vorgestellt, wobei ich mir nicht einen Namen geschweige denn Familienstand merken konnte. Ich setzte mich mit Alejandro neben seine Großeltern, was für mich wie immer ein bisschen Unbehagen mit sich bringt, da ich nie weis, wie ich mich verhalten soll. Hinzu kam noch, dass beide durch ihre 90 Jahre schwerhörig waren und ihnen alles entgegen gebrüllt werden musste. Trotzdem sehr nette und interessierte Menschen. Nach kürzester Zeit sollte ich auch das Hühnchen der einen Tante bewerten. Ich war aber noch nicht einmal dazu gekommen, es zu essen. Nach meinem ersten Bissen sagte mir Alejandro, dass ich es ihr ja jetzt sagen kann. Die ganzen verschiedenen Hühnchensorten waren äußerst lecker und ließen sich gut mit dem kühlen Bier runterspülen. Gleichzeitig sprang der neunjährige Cousin die ganze Zeit äußerst aufgeregt durch die Gegend und kommandierte, dass wir doch schneller aufessen sollen. Er wartete schließlich den ganzen Tag auf diesen Moment.

Während der Bescherung rief immer eine Person den Namen des Glücklichen, während der Rest schnell darin einstimmte, zu rufen: „AUFMACHEN! AUFMACHEN!“ Nachdem das Geheimnis entlüftet war, riefen alle: „Hajajai“ So ging das ganze zwei Stunden. Der kleine Matz hatte extra Watte in den Ohren, um die Rufe nicht allzu stark zu hören. Als die Großeltern ankündigten, schlafen zu gehen, wurden schnell ihre restlichen Geschenke herausgesucht und der Herr im Haus, also der Großvater, hielt noch eine Rede, zu der wir alle mit Wein anstießen (wir leerten extra alle unsere Biergläser vorher). Anschließend stellten wir uns an, um die beiden persönlich zu verabschieden. Weiter ging es mit den manchmal heuchlerisch falsch klingenden Freuderufen. Ich bekam sogar auch etwas geschenkt, eine CD-Sammelhülle, Kalender 2011 und eine Sparbüchse von SouthPark, von der schon Farbe abbröckelte. Kurz nach der Bescherung verabschiedeten sich viele sehr schnell, um noch zu weiteren Weihnachtsfeier des Partners zu düsen oder aber um einfach unter die Bettdecke zu kriechen. Übrig blieb noch Alejandros engste Familie, mit denen wir noch ein Bier tranken. Schließlich führen wir mit Auto zu ihm nach Hause.

Am nächsten Morgen frühstückte ich einen Kaffee, da ich noch nicht richtig Hunger hatte. Danach schaute ich mir mit Alejandro eine Live-DVD von der bolivianischen Band Atajo an, wobei wir aber die ganze Zeit quatschten. Er zeigte mir danach seine Psychologieabschlussarbeit, was ein ganzes Buch über Essstörungen ist. Nach einigen weiteren Musikplatten schauten wir einige Szenen des Spielfilms „Irreversible“ an, der sich als sehr interessant aber auch heftig herausstellte. Die Bilder nehmen den Zuschauer durch ihren Inhalt sehr mit. Zum Mittagessen gab es dann leckeres pique machu. Vier Stunden später aßen alle außer mir dann Abendbrot. Danach fuhren wir zur España und trafen dort Freunde von mir, mit denen wir singend und ein paar Bieren den Abend gemütlich verbrachten.

Am 26. putzte ich mit Helena unsere Terrasse, nachdem uns unsere Hausherrin schon mehrmals daran erinnert hat. Im Internetcafé telefonierte ich dann noch mit Niko und abends bereitete ich etwas für den nächsten Arbeitstag vor, währen Helena so lieb war und uns Abendbrot zubereitete.

Eine wahrhaft herrliche Weihnacht.