Montag, 7. März 2011

Proteste


Kapitalismus in Verbindung mit Globalisierungsstrukturen birgt bekanntermaßen nicht gerade die Sicherheit vorm Herrn. Preisschwankungen durch aberwitzige wirtschaftliche Prozesse stehen an der Tagesordnung. Kürzlich erklärten mir einige Menschen, wie damit wiederum auch noch Geld „verdient“ werden kann: Mensch muss an den Aufstieg sowie Untergang unterschiedlicher wirtschaftlicher Sektoren glauben, darauf sogar hoffen. Nichts desto trotz kenne ich aus Deutschland stabile Preise. Seid meiner Grundschulzeit kaufe ich im Supermarkt Cerealien für den gleichen Preis. Ich komme aus dem Urlaub wieder und finde noch immer die gleichen Preise zu den jeweiligen Gütern. Auf dem anderen Teil der Erde, der Kehrseite des erstaunlicherweise anerkannten Wirtschaftssystems sieht die ganze Sache wesentlich anders aus.

Ich habe mit Absicht noch nicht vorher darüber berichtet, um abzuwarten, was noch alles auf die bolivianische Bevölkerung zukommt. Doch jetzt kommt ein kleiner chronologischer Abriss. Nach Weihnachten beschloss der bolivianische Präsident Evo Morales die Subvention des Benzinimportes mit einem Schlag einzustellen. Da Bolivien reichliche Gasvorkommnisse aufweisen kann, hat sich die Gesellschaft stark auf deren Nutzung eingestellt. Viele Autos besitzen schon seid langer Zeit Gasmotoren, über die in Deutschland noch diskutiert wird. Die Menschen dieses Entwicklungslandes haben es sogar geschafft, in ihre Autos ein für mich unerklärliches System einzubauen, welches ihnen erlaubt, während der Fahrt zwischen Gas- und Benzinzufuhr zu wechseln. Leide kann das nur in PKWs vorgefunden werden. Alle großen Fahrzeuge, die für Ferntransporte verwendet werden (die einzige Zugverbindung befördert hauptsächlich Touristen, der Rest rollt über die Straßen), benutzen nachwievor Benzin. Eigene Erdölvorkommnisse wurden in Bolivien noch nicht gefunden, weswegen diese komplett importiert werden. Da Bolivien in Lateinamerika mit zu den günstigsten Ländern zählt, wären die ausländischen Benzinpreise für die hiesigen Menschen nicht bezahlbar. Somit subventioniert die Regierung den Import um fünfzig Prozent. Dies nutzen die Nachbarstaaten, indem sie ihr ursprüngliches Benzin reimportieren, legal und illegal. Bolivien kauft dieses dann erneut wieder ein und belastet seine Wirtschaft extrem. Deswegen wurde die Unterstützung über Nacht eingestellt. Der Benzinpreis verdoppelte sich also schlagartig.

Am nächsten Tag fuhren kaum noch Verkehrsmittel, auch im öffentlichen Transport sah es mager aus. Die Menschen empörten sich sofort, schimpften und der Nahverkehr nutzte es aus, indem sie das Transportgeld mit dem Argument des Benzinpreises verdoppelten, obwohl sie natürlich mit Gas fuhren und sich an dem Preis nichts geregt hatte. Zur Folge stiegen auch die Lebensmittelpreise an, denn diese werden schließlich in LKWs befördert. Einige Banausen bunkerten auch ihre Produkte, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu verkaufen, wenn sie einen höheren Preis rechtfertigen können. Gleichzeitig bestand ebenso die Befürchtung einer Lebensmittel Knappheit wie zu den Zeiten des Wasserkrieges, weswegen auch Güter zurückgehalten wurden. Die Opposition brachte am gleichen Tag das Gerücht in die Welt, dass am Abend alle Banken für unbestimmte Zeit geschlossen werden, so wie vor Jahren in Argentinien. Dementsprechend ließen die Menschen ihre Abreit liegen und hoben all ihre Ersparnisse ab. Stundenlange Schlangen bildeten. Die Banken standen vor einem Chaos. Evo Morales entsandt sofort eine Videobotschaft an alle öffentliche Fernseher, um der Panik entgegenzuwirken. Für die nächsten Tage kündigten sich Demonstrationen sowie Blockaden aller Zufahrtsstraßen Cochabambas. Nicht nur für mich viel damit die Arbeit aus, da zeitgleich die Taxifahrer als einziges Transportmittel unglaubliche Preise verlangten. Sowieso könnte sie es niemand leisten, den ganzen Tag mit Taxi unterwegs zu sein. Über den Jahreswechsel wurde die Subvention wieder eingesetzt (der Benzinpreis sank fast aufs alte Niveau) und alles beruhigte sich kurzzeitig wieder.

Nichts desto trotz stiegen einige Preise weiterhin unaufhaltsam an. Vor allem kann dies am Zucker bemerkt werden. Am Jahresanfang 2010 kostete der Sack ca. 150Bs. Während des Jahres stieg der Preis gering an. Im vierten Quartal erlebte er jedoch einen starken Aufwind, was seinen Höhepunkt um den Jahreswechsel herum fand. Allein in diesen zwei Wochen stiegt der Preis zwei Mal an, insgesamt um über 100Bs, was den Preis auf jetzige 480Bs pro Sack bringt. Miete eines kleinen Zimmers in einer gefährlichen Gegend liegt um 300Bs, ein geringer Monatslohn (wie z.B. in der Fundación) bei 1500Bs. Hier muss sich jetzt verdeutlicht werden, für was alles Zucker verwendet wird. Mir kommt es so vor, als ob er überall drin steckt. Zudem verwenden ihn die Bolivianer im deutschen Maßstab unglaublich viel mehr, wodurch viele Preise anstiegen.

Die Chauffeure des Nahverkehrs reklamieren jetzt, dass sie mit ihrem Gehalt ihre Familien nicht mehr unterhalten können. Seid einem Jahrzehnt sind die Transportpreise trotz sonstigen Preiserhöhungen nicht angestiegen. Jetzt sei ein Limit erreicht, an dem sie ihre Familien in Gefahr sehen. Der Mindestlohn liegt unter 1000Bs und sie verdienen um die 2500Bs monatlich, müssen sich zudem mit 1500Bs in die Linien des Nahverkehrs einkaufen und ihr eigenes Auto mitbringen. Privat rollt natürlich noch ein anderes Flitzer über den Asphalt, bestätigte mir neulich ein Fahrer. Allzu schlecht geht es ihnen mit ihrem mittelmäßigen Lohn nicht. Trotzdem wollen sie den Fahrtpreis von 1,50Bs auf 2Bs anheben. Dies macht den Unterschied von einem Brötchen oder halben Liter Wasser aus. Da ich an einem Tag an zwei verschiedenen Orten arbeite und zwischendurch umsteigen muss, bezahlte ich somit täglich 2Bs mehr (monatlich ca. 55Bs). Dies ist für viele Menschen mit einem Geringeinkommen unmöglich aufzubringen, weswegen die Regierung nach kurzer Zeit der Freiheit, in der die Buslinien eigene Preise festgelegt hatten, mit Repressionen reagierte.

Plötzlich liefen verschiedene Bewegungen durch die Innenstadt. Die Chauffeure, um die Preise anheben zu dürfen, und deren Gegner, deren Geldbeutel dies nicht verkraften würde. Aus Erfahrungen heraus ist bekannt, wie sehr das städtische Leben vom Nahverkehr und den Zufahrtsstraßen abhängt, weswegen ein Totalstreik der Trufi und Micro eingelegt wurde. Zunächst nur zum Mittag- oder/und Morgenverkehr. Später fuhren nur noch vereinzelt Busse. Da die Regierung stur auf ihrem Kurs blieb, fuhr schließlich gar nichts mehr. Zufahrtsstraßen sowie Brücken und Innenstadt wurden blockiert. Zudem zogen beständig Demonstrationen durch die Innenstadt.

Zufällig sah ich den einen Tag einen Protestmarsch vorm Rathaus. Viele Menschen standen rum, unterhielten sich, ließen Feuerwerkskörper in die Luft steigen und warfen die Überreste sowie sonstigen Müll in das Lagerfeuer vor der Tür des Rathauses. Die Polizei stand in Reihe davor, vereinzelt mit Schild, Helm oder Gasmaske ausgerüstet. Selten konnte ich Rufe oder gar Sprechchöre erhaschen. Mir kam das Ganze sehr ruhig und friedlich vor. Komplett anders als in Deutschland. Ca. tausend Menschen wurden von vielleicht 20 Polizisten betreut, die viel verstrichener Zeit das Lagerfeuer ohne Protest löschte.

Durch die Blockaden, Märsche und fehlenden Verkehr konnte, musste und durfte (aus Sicherheitsgründen) einige Tage nicht arbeiten, sowie viele andere Menschen auch. Tourismus sowie Lebensmitteltransport war kurzweilig unmöglich. Die Innenstadt wirkte ohne all die Arbeiter wie ausgestorben. Obwohl, die Demonstration sorgten für ein anderes Bild von Leben.

Nachwievor ist die Situation nicht geklärt. Zumindest fahren alle Busse wieder, zeitweilig weniger frequentiert. Ich denke, dass dies mit dem Karneval zu tun hat, weswegen der öffentliche Druck aus der Bevölkerung ausreichend groß ist, dass vorerst pariert wird. Zeitgleich finden weiterhin Aufmärsche statt, die den öffentlichen Verkehr behindern aber auch bedrohen. Dies erklärt sich so. Während Blockaden fuhren trotzdem versteckt einige Trufis oder es bildeten sich Sammeltaxis z.B., was offensichtlich gegen die Idee eines Totalstreiks geht. Dadurch zerstachen aufgebrachte Chauffeure reifen oder zerstörten Fensterscheiben. Deswegen geben die Linien Warnung raus, wenn Demonstrationszüge durch die Stadt streifen. Dementsprechend verdünnt sich der öffentliche Verkehr damit.

Nicht nur ich, sondern alle Menschen warten gespannt, wie sich die Situation weiterentwickelt bzw. löst.

Donnerstag, 3. März 2011

triste


Schon oft wurde ich in E-Mails oder Telefonaten gefragt, wie es mir denn wirklich ginge. Aus weiser Kenntnis war vielen anscheinend bewusst, dass ich hier eher weniger über meine Gefühlslage schreiben werde. Nicht aus einem großen Bedürfnis oder gar bedrohlicher Schieflage heraus möchte ich dem entgegenwirken.
Oft überrascht es mich selber, was in mir vorgeht und woher diese Regungen rühren. In meinem Zwischenseminar in Quito, auf welchem ich vor kurzem erst war, erzählten viele in ihrer Gefühlskurve, dass sich ihre Gemütslage drastisch mit der einsetzenden Regensaison herabsetzte. Verstehen konnte ich das zu dem Zeitpunkt kaum. Durch den globalen Klimawandel hat sich die nasse Jahreszeit in Bolivien um ganze DREI Monate verschoben, weswegen ich erst nach meiner Rückkehr Anfang Februar täglich begossen wurde. Durch politische Höhepunkte, von denen ich in meinem nächsten Eintrag berichten werde, und kurzer Krankheitsphase (der Arzt meint, dass ich durch schlechte Lebensmittel temporär erkrankte) kam es zusätzlich dazu, dass ich mehrere Tage in meiner Wohnung verbrachte. Durch beständigen Regen musste ich jedoch in meinem kleinen Zimmer bleiben.
Obwohl ich noch zu Begin des zweiten Monats des Jahres vollauf begeistert von meinem bolivianischen Leben berichtete, fühlte ich mich in letzter Zeit niedergeschlagen. Kaum freute ich mich noch über die kleinen Dinge des Lebens. Selbst mein Lachen verschwand kurzzeitig. Vieles erschien mir einerlei. Pure Monotonie stumpfte mich ab. Schon oft durchlief ich solcherlei Zeiten, entwickelte über die Jahre Strategien diese zu überwinden. Doch irgendwie sollten diese nicht funktionieren. Da wir seit vier Wochen kein fließendes Wasser haben, konnte ich nicht einmal duschen oder mir Kaffee sowie leckeres Essen zubereiten. Filme ödeten mich an. Auch meine Lieblingsmusik von Tool sollte mich dieses Mal nicht beleben. Viel blieb in meinem Repertoire nicht mehr übrig, was mich noch weiter irritierte und deprimierte. Logischer Weise konnte ich da auch kaum noch Licht am Ende sehen. Nur meine Logik versprach mir, dass es irgendwann schon besser werden wird. Da Helena selbst auf Reisen ist, blieb mir nur die Gesellschaft von Johannes, welche mich nicht wirklich aufmuntern konnte. Sie bewirkte das Gegenteil. Mein geliebtes Heim, welches ich gerne zur Erholung aufgesucht hatte, verbreitete eine ungemütliche Stimmung. Also entschloss ich mich, mich so viel wir nur möglich außerhalb aufzuhalten, mich mit Freunden zu treffen. Doch Magenschmerzen und Durchfall sowie Regen setzten da klare Grenzen. Hinzu kommt meine negative Gemütslage, die es mir kaum erlaubte, mich ganz platt gesagt zu vergnügen. Ich bin wirklich froh bolivianische Freunde zu haben, doch ist es nicht das gleiche, wenn ich mich mit meinen berliner Freunden treffe. Auch wenn ich mich schon sehr an die hiesige Kultur gewöhnt habe, sind Treffen nicht ganz so erholsam und beruhigend wie in der Heimat. Der Strudel dreht sich also weiter. Um mich eigentlich abzulenken, verlasse ich mein Haus und schaffe es doch nicht. Immer öfter dachte ich daran, wie angenehm es doch wäre, ein Bier in den tollen berliner Kneipen sowie einen Kaffee mit Freunden zu genießen. Natürlich mache ich solcherlei Dinge hier auch. Mehrere Jahre Freundschaft bewirken aber einfach ein wesentlich aufbauendes sowie erholsameres Verhältnis. Wenn ich mit mir selbst nur noch wenig klar komme, hilft es mir sehr gut, die behutsamen Fänge von Freundschaften aufzusuchen. Doch noch wirken diese hier nicht allzu nachhaltig, weswegen ich just genauso niedergeschlagen in mein nasses, ungemütliches Heim zurückkehrte.

Für all die besorgten Seelen möchte ich hinzufügen, dass ich heute während einem vollen und einnehmenden Arbeitstag in Sonnenstrahlen gebadet wurde. Welche Auswirkungen dies haben kann! Ich fühle mich wesentlich besser, habe diese bedrückende Haube anscheinend abgelegt, wodurch frischer Wind meine tristen Hirnzellen belebte. Hoffentlich bleibe ich in diesem Fahrtwind noch eine ganze Weile.