Mein Arbeitsalltag unterteilt sich in den Vor- und Nachmittag. Jeden Morgen steh ich um 7 Uhr auf, trink einen organischen, in Bolivien fair hergestellten Kaffee, schreibe ein wenig in meinem Buch, um dann um 18.15 Uhr das Haus zu verlassen. Da momentan noch das Projekthaus von Inti K’anchay sehr weit draußen in der Stadt liegt, zieht sich dementsprechend die Busfahrt hin. Da ich mir aber vorgenommen habe, mein Spanisch durchs Zeitunglesen aufzubessern, lese ich meistens in meiner Le Monde De Diplomatique -versteh momentan aber leider nur die Hälfte. Um 9 Uhr öffnet dann ein Mitarbeiter die Tür und lässt alle eintreten. Teewasser wird aufgesetzt, manchmal die Brötchen für alle mit Butter, Dulce De Leche oder Marmelade bestrichen. Da Inti K’anchay Kinder und Jugendliche im Schulalter betreut, wurden zwei Altersstufen eingerichtet. Die niños sind auf dem gleichen Grundstück in einem kleinen abgesonderten Haus untergebracht, die adolecentes vergnügen sich tagtäglich im Haupthaus, wo auch Küche, Büros, Bad und Kammer liegen.
Gefrühstückt wird jeweils in den Altersgruppen. Spannend für mich ist hierbei, dass vor jeder Mahlzeit von einem Jugendlichen ein Gebet gesprochen wird. Dies hat nicht unbedingt etwas mit Religiosität zu tun. Es gehört konzeptionell festgelegt zu dem Re-Strukturierungsbereich und den Ritualen. Es wird nur freiwillig gesprochen. Nach dem Frühstück mit dem für Europäer übersüßten Tee und einem Brötchen pro Person, wird grundsätzlich Raum und Unterstützung für Hausaufgaben gegeben. Zudem kommen wöchentliche eine Mathematiklehrerin, ein Tai-Chi-Meister und ein Englischlehrer (ein berenteter Englischlehrer aus Norwegen, der hier auch einen Freiwilligendienst leistet)ins Projekt, um zusätzliche Unterstützung anzubieten. Darüber hinaus werden öfters Thementage zu den unterschiedlichsten Bereichen durchgeführt. Worauf diese speziell abzielen erkläre ich gleich noch. Gegen zwölf ist die Köchin meistens mit dem Essen soweit, dass aufgetischt werden kann. Da doña Vicenta durch die schieren zuzubereitenden Essensberge nicht in der Lage ist, diese alleine zu kochen, helfen ihr dabei täglich Jugendliche. Natürlich müssen sie manchmal erst zu dieser schönen Aufgabe geführt werden. Nach dem Essen werden die vorher durch ein Zufallsprinzip ausgelosten oficios verteilt. Denn jeden Tag wird zum Abschluss das gesamte Haus geputzt. Wer seine Aufgabe gewissenhaft erledigt hat, bekommt sein Fahrtgeld zur Schule ausgehändigt. Hierbei muss Mensch wissen, dass die bolivianischen Kinder nur halbtags und zwar am Nachmittag zur Schule gehen. Deswegen hört für mich der erste Teil meines Arbeitstages um 1 Uhr auf.
Doch worauf legt Inti K’anchay seinen Fokus? In dem Gespann von Unterprojekten innerhalb der Fundacion Estrellas en la Calle, die aus der Arbeit direkt auf der Straße (Coyera), einem Kindergarten (Fenix), den Besuchen von ehemaligen Straßenkindern, gefährdeten Familien oder Angehörigen (Wiñana), der Koordination im Büro sowie richtigen Arbeitsstellen bestehen, übernimmt Inti K’anchay die Präventionsarbeit. Die Zielgruppe besteht aus Kindern und Jugendlichen, die in dem Sinne in gefährdeten Situationen leben, in denen sie Destrukturierungs- und Entpersonalisierungsprozesse erleben müssen/mussten, wodurch zudem die Gefahr bestehen kann, dass sie auf der Straße leben werden. Natürlich arbeiten wir auch mit der poblacion, die die Straße bereits verlassen hat. Durch, für bolivianische Verhältnisse, zeitgebundene und feste Tages- sowie Wochenabläufe soll den Jugendlichen die Möglichkeit geboten werden, ihre Fähigkeiten und Talente zum einen zu entdecken und zum anderen auszubauen. Gleichzeitig können sie alte und für sie schädigende Verhaltensweisen durch förderlichere austauschen. Ihr familiärer Hintergrund soll hierbei kein Hindernis darstellen, weswegen sie im Projekt alle benötigte Unterstützung bekommen, um aus eigener Initiative heraus ihr Leben so zu gestallten, dass sie nicht auf der Straße leben müssen. Dadurch spielt die Integration in das Schulsystem eine besonders wichtige Rolle. Doch auch andere Themen wie Gesundheit, Psychologie, Sport (Kraft/Energie), Hygiene, Sexualität, Recht und Freizeitgestaltung bilden eine Arbeitsgrundlage. Das schwierige für die Mitarbeiter ist es hierbei stets zu erkennen, dass durch den präventiven Charakter der Arbeit Problemfelder nicht direkt und sofort sichtbar sind. Die Jugendlichen wirken im Vergleich zur Straße unbefleckt und einfach. Doch nichts desto trotz darf sich niemand zurücklehnen und seinem Laisse-faire-Stil frönen, denn wir arbeiten immer noch mit eine gefährdeten Zielgruppe.
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