Samstag, 20. November 2010

Bienvenidos

Alle guten Dinge sind drei, doch vielleicht können wir es dieses Mal bei zwei belassen. Am Mittwoch trank ich mit Orlando bei ihm zu Hause einen Kaffee und tauschten Musik aus -ein wunderschöner Abend. Zuvor hatte ich mich just mit Johannes darüber unterhalten, natürlich auf Spanisch, dass es ein wenig komisch wirkt, wie uns immer wieder zu fast allen Gebieten Boliviens gesagt wird, dass es peligroso (gefährlich) sei. Ob das nun in der Innenstadt oder im Rand Cochabambas sei, immer sei es nicht sicher. Wir schlossen daraus einfach, dass die Kriminalität eine andere Rolle im täglichen Leben spielt und so oder so alles gefährlich ist. Weswegen wir uns immer vorsehen müssen.

Nachts durch die Straßen laufen ist riskant, weil mensch hier ausgeraubt, überfallen und belästigt werden kann. Also folgt die logische Schlussfolgerung mit Trufi oder Taxi zu fahren. Doch wie wir aus meinen Erfahrungen gelernt haben, ist das auch nicht Gottes Segen. Bei Taxis muss auch Vorsicht gewaltet werden, denn es fahren auch sogenannte falsche Taxis durch die Stadt, die einen dann direkt zum nächsten Bankautomaten, nach Hause oder woandershin bringen. Was bleibt nun übrig, wenn alle Varianten mit einem gewissen Risiko beladen sind? Vorsicht walten lassen? Doch die hilft auch nicht immer, wie wir an meinem Beispiel sehen werden.

Ich verlasse gegen 10.30 Uhr das Haus von Orlando, verabschiede mich an der Hauseingangstür bei dem Sicherheitsdienst und mach mir Musik an, um meine Freude über den Abend aufrecht zu erhalten. Mit Musik läuft es sich einfach angenehmer nach Hause. In aller Freude zieh ich meine Spur durch die Straße. An der Ecke, wo ich abbiegen möchte, kommen mir im Schatten des Baumes zwei Männer just um dieselbe entgegen. Als wir uns sofort auf gleicher Höhe befanden, drehte sich der eine Mann zu mir, als ob er mich nach etwas fragen möchte. Im selben Moment merkte ich, dass hier etwas nicht stimmt, dass die beiden nichts Schönes wollen. Intuitiv setzte ich an, um loszurennen. Sah auch das Messer in seiner Hand. In meinem Körper schreit alles Alarmstufe Rot, allmögliche Hormone initiieren sich selbst. So stell ich mir eine Drogeninjektion vor: auf Knopfdruck verändert sich jegliches Gefühl, der ganze Körperzustand. Damit aber niemand wegrennen kann, sind es ja schließlich zwei. Beide drückten mir ihre Messer in die Brust und kommandierten wild herum. Natürlich kannte ich die Idee, dass mensch in solchen Situation vollkommen ruhig und kooperativ bleibt, um sich so gut wie möglich zu schützen. Doch hatte ich viel zu viel Angst, um auch nur annähernd logisch denken zu können. Mit zwei Messer gegen die Wand gedrückt bedienten sie sich sofort an meiner Hosentasche. Mein Geld hatte ich jedoch in der anderen, die mit meiner Seite an der Wand klebte. Somit fanden sie mein altes, fast nicht mehr funktionierendes Handy, mein MP3-Player und Schlüssel. Beim Wegrennen sog mir einer noch ein Stück Papier aus der hinteren Tasche. Mit einer dreifachen Überdosis Adrenalin rannte ich zurück zu Orlandos Haus, doch leider war der Sicherheitsdienst nicht mehr zu sehen. Auch durch wahlloses Klingel zeigte er keinen Pieps von sich. Irgendwann gab ich auf und rannte zu mir nach Hause. Orlando konnte ich schließlich nicht anrufen, da mir gerade mein Handy abgenommen wurde, leider auch mein Schlüssel. Weswegen ich Doña Miriam aufwecken musste, damit sie mir aufmacht und den Ersatzschlüssel für mein Zimmer gibt, den sie zum Glück noch hatte. Mit einer zweistündigen Verzögerung landete ich endlich in meinem Bett und durfte die Luft Cochabambas noch lange weiter genießen. Bis sich mein Adrenalinspiegel soweit abgesenkt hatte, dass ich schlafen konnte. Doch zunächst klebte ich noch Zettel an die Türen meiner Mitbewohner, dass sich mich am nächsten Morgen wecken sollen. Das hatte sonst immer mein Handy übernommen.

Klar habe ich jetzt danach etliche Ersetzungen zu besorgen, doch was mich viel mehr beschäftigt, ist was ich für Konsequenzen daraus ziehen soll. Als ich mich im Nachhinein mit meinen Freunden darüber unterhalten habe, hörte ich von jedem mindestens auch ein Geschichte über den eigenen Raubüberfall. So schlimm sich das auch sagen lässt, gehört Diebstahl oder alles was unter dem Ausdruck, dass es gefährlich sein, zusammengefasst wird zu dem Leben hier dazu, vor allem wenn mensch mit seiner weißen Hautfarbe hervorsticht.

Dienstag, 16. November 2010

Donnerstag, 4. November 2010

el dia de los muertos


de Christoph Hanser
Seid neustem habe ich jeden Dienstagmorgen frei, da ich schließlich am Samstag um 7 Uhr aufstehe, um gut gelaunt zur Arbeit zu gehen. Den letzten freien Tag habe ich auch super genutzt: ausgeschlafen, Kaffee getrunken, mir dazu ein Stück Schokolade gegönnt (wirklich nur ein Stück) und ein bisschen in mein Buch geschrieben. Doch diesen Morgen sollte das Ausschlafen ganz anders aussehen.

Um 6 Uhr in der Früh sprang ich aus meinen Federn, um innerhalb einer halben Stunde abmarschbereit zu sein. Schließlich wollten wir uns an diesem Feiertag um 7.30 Uhr in der Stadt treffen. Von dort ging es dann mit einem Trufi nach Tarata, ein kleines aber altbekanntes Dorf, welches ca. eine Stunde von Cochabamba entfernt liegt. Vor etlichen Jahrzenten ernannte der damalige Präsident Boliviens dieses Dorf zur Hauptstadt, er kam schließlich von dort. In Tarata angekommen machten wir uns fast unverzüglich zum außerhalb gelegenen Friedhof. Natürlich drehten wir eine runde um diesen bezaubernden Dorfplatzt der vor gigantischen Palmen fast überquoll. Auch probierten wir das örtliche Brot und ich muss ehrlich zugeben, dass ich hier noch nie so leckeres und vor allem sättigende Brötchen genießen konnte. Auf dem Friedhof packten wir dann Gitarre und Charango aus.

de Christoph Hanser
Doch wozu eigentlich das Ganze?
In Deutschland wird dieser Tag auch gefeiert, wenn auch kleiner und an einem anderen Datum. An El Dia De Los Muertos wird den bereits verstorbenen Familienangehörigen erneut Ehre erwiesen und für ihre Heiligkeit gepriesen. Zwar habe ich an diesem Fest noch nie in Deutschland teilgenommen, so denke ich aber trotzdem, dass dies in der bolivianischen Kultur weitaus anders verläuft. Bereits am Vortag laden die Familien alle Angehörigen und alle die interessiert sind ein, bei ihnen zu Hause ein Gebet für die Verstorbenen zu sprechen und dabei an dem Festmahl teilnehmen. Doch der Hauptteil fängt am eigentlichen Feiertag an. Hier werden bereits am frühsten Morgen, mit den ersten Sonnenstrahlen die Gräber hergerichtet. Unkraut wird verbrannt, Blumen in halbierten Plastikflaschen in den Grabhügel hineingesetzt und ein Tuch über dem Verstorbenen ausgebreitet, um darauf die äußerst leckeren masitos zu platzieren. Diese kleinen Brote und Gepäcke wurden schon seid circa einer Woche überall in der Stadt wie wild verkauft und schmecken wesentlich anders als normales Brot. Die verschiedensten Sorten bestehen aus Keksen, in Papier gebackenem Kuchen und Brot in Tier-, Mensch- und Kreuzform. Ein Kanister mit selbst gebrauter Chicha steht natürlich auch parat.

Die religiös begründete Idee dahinter besteht darin, dass an diesem Tag die Toten zurück auf die Erde kommen. Die Familien sorgen nun dafür, ganz nach der Idee, dass mensch für seine Heiligkeit etwas Gutes tun muss, dass wildfremde Menschen ein Gebet für die Toten sprechen oder auch einfach nur musizieren. Der Tote wird nun ähnlich wie in der katholischen Kirche bei der Beichte von seinen Sünden etwas befreit und wird ein Stück heiliger. Doch so wie es in den Wald hineinruft, schallt es auch heraus, muss die Familie im Gegenzug stellvertretend für den Verstorbenen dem Betenden etwas von den Köstlichkeiten anbieten. Laut bolivianischer Kultur kann solch eine Einladung auch nicht abgelehnt werden, was nur wirklich interessant bei dem massiven Chichakonsum interessant wird. Dieses Heiligung wird jedes Jahr durchgeführt, jedoch wesentlich ausgeprägter auf den Dörfern, als in den Städten.


Wir, ein wilder Haufen Freiwillige und Bolivianer, zogen nun über den Friedhof und bestaunten, das wilde Chaos, wie die Gräber angeordnet sind und zum Teil so schlecht gepflegt und zertreten wurden, dass sie fast unerkennbar waren. An dem großen gepflasterten Weg reihten sich große Mausoleen für ganze Familien an. Wie überall in Bolivien lässt sich der finanzielle Unterschied innerhalb der Gesellschaft auch hier gut erkennen. Manche Familien mit kapellenähnlichen Gräbern übersehen sie mit masitos, so dass mensch kaum noch etwas erkennt. Andere setzen wenige Pflanzen in eine Plastikflasche und können als Gegenleistung nur ein tränenunterlaufenes Dankeschön aussprechen. Manche Grabsteine bekamen einen neuen Anstrich (natürlich Farbe mit Latexmischung) oder auch eine Decke aus Blumen überzogen. Die Familien kamen nun auf die herumstromernden Fremden zu und fragen sie, wieviel sie für ihr Gebete verlangen. Ja richtig! Wieviel Geld wir verlangen, um für die Verstorbenen zu singen. Das ist Teil des Austausches. Wir entschieden uns sofort gegen jegliche Finanzierung, da wir mit unseren „Einkünften“ mehr als ein doppeltes Monatsgehalt beziehen. Doch in Bolivien können Einladungen nicht einfach ins Leere abgelehnt werden. Da wir uns sehr befremdlich dabei vorkamen, vor einem Grabhügel für eine fremde verstorbene Person zu musizieren, gaben wir stets an, dass wir als Bezahlung lediglich etwas über die Person wissen möchten. Obwohl in Bolivien der Gemeinschaftsgedanke, die Überlegung durch das Kollektiv zu größeren Zielen zu gelangen sehr stark ausgeprägt ist, fiel die Reaktion auf unsere Bitte sehr unterschiedlich aus. Manche Familien fingen fast bei der Geburt an und endeten bei der Erklärung des Familienstammbaums. Andere gaben nur das Todesjahr und den Familiennamen an. Da wir auch zwei Lieder aus Italien und Norwegen parat hatten, holten wir uns die Erlaubnis ein, auf einer fremden Sprache singen zu können und erklärten dabei auch den Inhalt. Im Anschluss wurden uns dann die leckeren masitos und/oder kübelweise Chicha angeboten -z.T. erneut auch Geld. Manchmal redeten wir während des Verzehrs und der dabei bedachten Tradition dessen noch ein wenig mit der Familie. Doch diese Geschichten bezahlten wir stets mit noch mehr Schalen Chicha, die wir trinken mussten. Ablehnen gibt es nicht, höchstens die Familie auch auf einen Trunk einladen. Zu der Chicha muss noch angemerkt werden, dass dies ein alkoholisches Maisgetränk ist, welches sich in dörfliche und städtische Chicha unterteilt. Erstere ist wesentlich purer gebraut und nicht noch extra mit Alkohol gepanscht, dafür aber vielleicht nicht sehr hygienisch wertvoll hergestellt.

Außerhalb des Friedhofes tobte das Leben. Ein Stand reihte sich an den nächsten und bot all mögliche Leckereien an: Von meinen geliebten Refrescos, über Eis mit Zimt- oder Milchgeschmackt (Eis aus reinem Wasser wird zerrieben und mit den genannten Geschmacksrichtungen engereichert), Nüssen, Süßigkeiten, Masitos, Blumen, Gebäck, bis hin zu gerngesehenen platos. Bier und Chicha fehlten natürlich nirgends. Hierbei möchte ich gleich die Gelegenheit nutzen und noch mehr kulinarische Spezialitäten erläutern. Churitos sind kleine würzige Würstchen und werden mit einem Salat und aufgekochtem Mais serviert. Chicha-Ron, das klassische Essen zu dem Getränk, besteht aus einem Allerlei des Schweins mit aufgekochtem Mais und kann getrost als eine verhältnismäßige teurere aber sehr leckere Mahlzeit bezeichnet werden. Wie schon mal erwähnt, wird in Bolivien alles vom Tier verwendet, auch die sonst in Deutschland fein säuberlich abgetrennte Schwarte. Hier wird sie so geröstet, dass sie wie Chickennuggets aussehen. Schmeckt schäuslich.

Da wir uns bei diesem Brauch sehr befremdlich vorkamen und auch nicht genau wussten, wie wir uns zu verhalten haben, suchten wir des Öfteren nach einer Runde über den Friedhof Zuflucht in just diesen Ständen und genossen das reichhaltige Angebot. Hinzukam, dass wir mit unseren kulturellen Unterschieden zu kämpfen hatten, da das Thema Tod in Deutschland nur innerfamiliär und tabuisiert behandelt wird. Hier springen Kinder über Gräber und sammeln für ein Gebet einen Sack voll masitos ein. Abseits dessen brachte jeder von uns auch ganz andere religiöse Hintergründe und Vorstellungen mit.


Nach reichlich Essen und Chicha begaben wir uns auf unseren Heimweg, erkundeten noch ein wenig Tarata, bemerkten, dass in dem ganzen Dorf das Bier aufgekauft war und es kaum noch Fahrgelegenheiten nach Cochabamba gab. Alle Trufis und Taxis, die ihren Weg am Dorfplatz vorbei bahnten, wurden innerhalb einer Sekunde von dreißig sehnlichst Wartenden überfallen. Irgendwann hielt ein leeres Taxi genau vor unserer Nase an und ließ insgesamt neun Leute einsteigen: zwei im Kofferraum, vier auf der Rückbank und zwei auf dem Beifahrersitz. Aber das ist noch lange kein Pappenstil. Ein anderes Taxi, normaler Fünftürer, verließ das Dorf mit 11 Mitfahrern. Da sich an der Mautschranke eine kilometerlange Schlange bildete kehrten wir auf der Autobahn ein kleines Stück um und düsten in der Finsternis über holprige Sandstraßen verfolgt von zwei weiteren Taxis. Selbst Rally-Autos würden hier ihren Spaß nicht finden, ich aber ein neues Abenteuer Boliviens.