Montag, 1. August 2011

Landei

Diese Ruhe, Stille und Langsamkeit hat mich damals immer verschreckt, sogar fern gehalten. Ich mochte es nie. Mir passierte einfach zu wenig, alles bewegte sich schleichend und wurde durch nichts gestört. Vielleicht durch die Menschen selbst, die ihren Mund nicht halten können und wenig Respekt für den Rest übrig haben. Mitterlweile fahre ich dort sehr gerne, genieße es sogar und überrede meine Freunde dazu mich zu begleiten. Vielleicht liegt es noch an einem kulturellen Unterschied, dass es mir jetzt gefällt. Doch diese ursprüngliche Atmosphäre spricht mich sehr an. Für immer möchte ich dennoch nicht bleiben. Kurzbesuche reichen da vollkommen aus, sind Balsam genug.

Oft habe ich mich schon gefragt, warum die Menschen hier so viel gelassener sind? Warum sie sich weniger lautstark entrüsten, mit ihren Autohupen zum Beispiel? Woher kommt dieser für mich doch merkliche Unterschied?

Neulich fuhr ich mit Mia in den Urlaub. In dem Dorf Samaipata heuerten wir einen Wanderführer an, der uns zwei Tage lang durch den Nationalpark Amboró führen sollte. Ich war hin und weg; unglaublich mit welcher Ruhe und Gelassenheit er die Dinge erledigte. Auch wenn ich mir dabei zunächst unwohl vorkam, deckte er uns stets den Essenstisch. Dazu rollte er auf dem Boden einfach ein kleines Deckchen aus und verzierte es mit Brot, Käse, Wurst und Gemüse. Doch alles Stück für Stück. Ohne jegliche Hektik oder Druck. Die Messer zog er aus einem kleinen Tuch, schaute sich den Wald an, wischte sie am gleichen Stoffstück ab, kniete sich hin, schaute sich den Tisch an und platzierte erst jetzt das Geschirr. Dazu nahm er sich alle Zeit der Welt. Natürlich gab es keinen Zeitdruck. Hier im Nebelwald zwischen dem Riesenfarn spielt Zeit keine Rolle. Einzig und allein die Sonne setzt die Segel unseres Tages. Doch mir ist diese Langsamkeit nicht eigen. Mit schnellen Bewegungen beschmierte ich mir mein Brot und aß es zügig auf. War es überhaupt so schnell oder kam es mir nur so vor, weil ich bereits zwei verdrückt habe und er gerade einmal den ersten Bissen gesetzt hat? Ich weiß es nicht! Schnell beschmutzte ich auch unseren fremd wirkenden gelblich weisen Ort mit einer unvorsichtigen Fußbewegung. Ihm passierte dies nicht einmal im Ansatz -Mia auch nicht. Ich war schlichtweg begeistert, wie er sich bewegte, die Natur wahrnahm und alles erledigte. Stets strahlte er diese natürliche Ruhe aus.

Später erzählte er uns, dass er schon seid 22 Jahren in Samaipata lebt und bereits 10 Jahre lang Gäste durch dieses wunderschöne Stückchen Erde führt. In Cochabamba geht er auf der cancha nur Essen und einige Dinge einkaufen. Die Stadt selbst hat er noch nie in seinem 33 jährigen Leben kennengelernt, will er auch nicht.

Mia wuchs auf einem kleinen dt. Dorf groß. Meine in Berlin nächstgelegenen Freunde lägen schon außerhalb ihres Dorfes. Auch sie strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Während ich durch die Welt hüpfe und sprinte, sucht sie zum Teil Frieden im Stillen, begleitet durch Essen, Musik und Literatur.

Vielleicht wirkt es vorlaut und kann begründet abgewiesen werden, doch frage ich mich, welchen Einfluss Stadt bzw. Dorf auf den Menschen hat? Ich bin immer stets glücklich in diesem großen Getümmel. Am besten mit ein bisschen Dreck, Lärm und Hektik, so gefällt es mir und bestärk mein Wohlempfinden. Gleichzeitig lebe ich auch so: schnell, hektisch, immer etwas los, wenige Pausen, die Musik voll aufgedreht, mein doppelter Espresso geht in Blitzeseile unter. Naturheilmittel kenne ich vom Land. Die Stadt bietet da lediglich eine 24 Stunden lang geöffnete Apotheke, die sogar bis an die Autotür serviert, so wie Fast-Food-Ketten.

In Samaipata endet die Mittagspause eigentlich um 14 Uhr, jedoch bei Nachfrage erklärten sie uns, dass die Geschäfte frühestens um 16-17 Uhr erneut öffneten, schließlich müssen alle ja noch aufessen und sich ausruhen. Das Abendbrot lässt dann aber auch nicht mehr lange auf sich warten. Genau so habe ich schon viele Dorfmenschen kennengelernt: Wozu die Eile, ich bin auch so glücklich. Unser Waldführer demonstrierte mir dies in zwei sehr speziellen Tagen.

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