Montag, 17. Januar 2011

Eine froehliche Weihnachten

Als ich zum ersten Advent in Mizque war, fühlte ich schon nichts, was irgendwie an die letzte Zeit des Jahres erinnert. Dies änderte sich auch mit den folgenden Wochen nicht, obwohl in der Stadt Lichter ausgehangen wurden, die einen schrecklich dudelnden Ton von sich gaben. Durch den Regen kühlte sich das Wetter ein bisschen ab und die lateinamerikanische Christstolle paneton wurde an jeder Ecke angeboten. Doch nichts sollte mich auch nur annähernd in Stimmung bringen. E-Mails trällerten mir etwas von Kälte und Schnee vor, was mit heißem Grießbrei in aller Ruhe durchs Fenster schauend genossen wurde. Ich sorgte mich, dass ich abends noch eine dünne Hose waschen würde, um sie am nächsten Tag anziehen zu können. In meiner Jeans erlebte ich sonst den Hitzetod.

Nach zwei Wochen Jahresevaluation standen in meiner letzten Woche mehrere Weihnachtsfeiern an. Am Mittwoch frühstückten wir im Inti K’anchay paneton mit Schokoladenmilch. Während sich die Kinder und Jugendlichen an ihrem Festschmaus mit dem Filmmaterial unserer Theateraufführung erfreuten, tütete das Team für jeden eine Packung Kekse, einen paneton und ein eingewickeltes Projekt-T-Shirt ein. Die Mitarbeiter mussten übrigends 30Bs für ihr Shirt bezahlen, da es dafür in der Fundación nicht genügend Geld gibt. Zeitgleich wirbelte die Chefin Beatriz mit der Köchin Doña Vicenta in der Küche herum. Es sollte Mais, Kartoffeln, Backbananen und Schwein aus dem Ofen geben. Zur Halbzeit meldete sich dann das Hauptbüro und kündigte an, am Essen teilnehmen zu wollen. Nicole, die für área espiritual zuständig ist, führte mit den Kindern eine stark religiöse Aktivität durch, welcher ich insgesamt drei Mal beiwohnen durfte. Interessanterweise besuchten uns an diesem Tag wesentlich mehr Personen, denn viele hatten noch ihr Cousinen, Geschwister oder Freunde mitgebracht. Es wussten schließlich alle, dass wir ein Festmahl vorbereiten werden, was uns in die missliche Lage brachte, dass das Essen vielleicht nicht reichen wird. Doch eine ordentliche Küche kennt Mittel und Wege, dass am Ende alle genügend auf ihrem Teller finden werden. Nicole sprach dann noch ein sehr ausführliches Tischgebet, da dies ihre letzte Möglichkeit war, sich von den Kindern und Jugendlichen zu verabschieden, bis sie nach Deutschland zurückgehen wird. Leider musste ich zu diesem Zeitpunkt schon auf den Weg zu coyera machen. Mein Essen nahm ich glücklich in einer Tüte mit. Doña Vicenta freute sich dann noch, dass sie mir heute mal in ihrem Sinne ausreichend Essen mitgeben durfte. Ich fragte sie nämlich, ob ich einen Maiskolben auf der Hand mitnehmen darf. Besonders schön erschien es für sie zu sein, dass wir diesen kleinen Gefallen etwas heimlich abwickeln mussten. Aus den Videoaufzeichnungen weis ich, dass noch etliche Reden geschwungen wurden, auch vom Hauptbüro und alle glücklich mit ihren Geschenken nach Hause gingen.

In Coyera feierten wir zunächst den Geburtstag der Mitarbeiterin Rosemary. Da Oscar weis, dass ich unglaublich gerne süßes esse, schnitt er für mich ohne Widerrede ein erst recht großes Tortenstück ab. Anschließend spielten wir mit den Kindern der Gruppe 6 de Agosto Karten und Bingo, was mit einem leckeren milanesa-Sandwich abgerundet wurde.

Am darauffolgenden Tag holte ich einen jungen Herrn aus der Einzelfallhilfe von dem Unterprojekt Wiñana an unserem Standardcafé ab. Denn in Coyera wartete für alle Menschen aus diesem Projekt eine kleine Feier anlässlich der Geburt Christi. Nicole führte erneut ihre Aktivität durch. Danach sollte ein Familienkind den Weihnachtsmann spielen und alle eingewickelten Pakete verteilen. Bis auf die Kinder, welche mit Spielsachen überrascht wurden, wickelten alle Erwachsenen Kleidung aus, welche für gewöhnlich aus Spenden rekrutiert wird. Dazu hielt der Projektchef Oscar noch eine sehr bewegende Rede, in der er seine Hochachtung allen gegenüber ausdrückte. Er erklärte, dass wir alle den Hut ziehen müssen, wenn wir bedenken, dass sie alle ihr Leben geändert haben, jetzt mit ihren Kindern in Häusern wohnen und arbeiten. In einem Fall darf sogar notiert werden, dass dieser Mensch jetzt studiert. Sie kämpfen trotz ihrer Vorgeschichte, ihren Erlebnissen und ihren jetzigen Schwierigkeiten täglich ums Überleben, um das Wohl ihrer Kinder. Uns allen ist bewusst, welch eine Willenskraft und Stärke dies benötigt. Daher verdienen sie unser alle Respekt.

In dem Projekt Coyera arbeiten wir mit den Kindern direkt auf der Straße und versuchen sie zu motivieren, ihren Lebensstil zu verändern. Mit dem gleichen Team betreuen wir in dem Unterprojekt Wiñana die Menschen, die die Straße verlassen haben oder gerade ernsthaft dabei sind. Nähere Infos können auch auf der verknüpften Website der Fundación gefunden werden, die in mehreren Sprachen angeboten wird.

Wie immer bildete der Abschluss ein platito de la tarde. Doch hatten wir uns vorher schon darauf geeinigt, dass Hühnchen dem Anlass nicht würdig erscheint, da dies fast immer gegessen und in Wiñana serviert wird. Milanesa sollte es also richten.

Danach machten wir uns alle auf den Weg zum Restaurant „Kartoffel“ der Fundación, welches kürzlich nach seinem Umzug neu eröffnet hat und Arbeitsplätze für Menschen aus Wiñana oder den Eltern der Kindern von Inti K’anchay bietet. Zudem lernen jetzt drei ehemalige Jugendliche aus Inti K’anchay alle Geheimnisse der bolivianischen sowie deutschen Küche. Die Hoffnung besteht, dass das Restaurant auch zu einer relativ sicheren und stabilen Einnahmequelle der Fundación wird.

Hier fand die offizielle Weihnachtsfeier der gesamten Fundación statt. Zum letzten, aber für diesen Tag zum zweiten Mal hörte ich Nicoles Rede über Gott und dem guten Kern in jedem Einzelnen an, der durch ein biblischen Leben von seinen schmutzigen Hüllen befreit werden muss. Leider wurden dafür in allen drei Veranstaltungen äußerst plakative und inhaltslose Tätigkeiten sowie Eigenschaften angenommen. Das heftigste Beispiel für mich war, dass Nicole kommentarlos „gut sein“ (im Original „ser bien“) als Aspekt annahm, um seinen glitzernden, inneren Kristall an die Oberfläche zu befördern. Weitere Reden folgten, in denen jeder, der mochte, etwas kundtun konnte. Aus weiser Erfahrung aß ich den ganzen Tag über kaum etwas, dann wie immer stand ein Festmahl auf dem Programm. Salat, Kartoffelsalat, Reis mit Rosinen und Schweinefleisch wurden von den drei Jugendlichen serviert. Dazu schlürften wir leckeren mango-refresco. Zum Anstoßen gab es dann natürlich Bier. Victor (Großchef) kündigte an, dass die Fundación auch eine KLEINIGKEIT vorbereitet hat. Alle Mitarbeiter bekamen einen Präsentkorb überreicht, halt nur in einer großen Tüte. Später erfuhr ich, dass dies nur der bolivianischen Kultur entspricht. Nichst desto trotz überraschte und erfreute es mich sehr. Noch nie hatten wir so viele Lebensmittel zu Hause stehen. Im Anschluss ging ich dann noch mit einigen Freunden ein Bier trinken.

Für den 24. Hatte ich eine andere Freiwillige zum Frühstück eingeladen. Ich kaufte extra Vollkornbrot, welches ohne Zucker gebacken wird, und eine Weihnachtskranz für Doña Miriam, die Haushüterin, beim Bäcker ein. Leider kam sie dermaßen zu spät, dass wir nur eine halbe Stunde hatte, um all die Leckereien zu genießen. Vorher hatte ich nämlich mit meiner Mitbewohnerin Helena gebrannte Mandeln zubereitet. Es war schon recht komisch unsere selbstgebackenen Lebkuchen und Mandeln zu essen, während uns auf der Dachterrasse die Sonne den Schweiz auf die Stirn trieb. Aus der um die Ecker liegenden Kirche hörten wir sogar die altbekannten Weihnachtslieder, bloß dass sie auf Spanisch umgeschrieben wurden. Doch so richtig kam bei uns keine Weihnachtsfreude auf, mussten wir feststellen. Ich verabschiedete und überreichte einer später sehr glücklichen Familie ein recht elektronisches Geschenk. Ich rief in Deutschland per Internet zu Hause an. Ganze zweieinhalb Stunden später ging ich mit Helene zu Doña Miriam runter, um ihr all unsere Süßigkeiten zu überreichen. Sie lud uns natürlich zu einem leckeren durazno-refresco ein und quatschten eine Runde. Leider musste Helena recht zeitig wieder gehen, damit sie ihre Weihnachtsfeiere nicht verpasst. Johannes löste sie sie fast im fliegenden Wechsel ab. Gegen halb Acht rief mich dann mein Kumpel Alejandro an, um mir Bescheid zu sagen, dass wir uns in einer Stunde treffen werden. In aller Ruhe duschte ich mich, packte die Marzipankartoffeln für die Familie ein und rief Alejandro nach einer Stunde an, dass ich mich jetzt auf den Weg mache. Er selber war auch noch nicht angekommen. Wusste ich es doch.


Ich wurde der ganzen Familie persönlich vorgestellt, wobei ich mir nicht einen Namen geschweige denn Familienstand merken konnte. Ich setzte mich mit Alejandro neben seine Großeltern, was für mich wie immer ein bisschen Unbehagen mit sich bringt, da ich nie weis, wie ich mich verhalten soll. Hinzu kam noch, dass beide durch ihre 90 Jahre schwerhörig waren und ihnen alles entgegen gebrüllt werden musste. Trotzdem sehr nette und interessierte Menschen. Nach kürzester Zeit sollte ich auch das Hühnchen der einen Tante bewerten. Ich war aber noch nicht einmal dazu gekommen, es zu essen. Nach meinem ersten Bissen sagte mir Alejandro, dass ich es ihr ja jetzt sagen kann. Die ganzen verschiedenen Hühnchensorten waren äußerst lecker und ließen sich gut mit dem kühlen Bier runterspülen. Gleichzeitig sprang der neunjährige Cousin die ganze Zeit äußerst aufgeregt durch die Gegend und kommandierte, dass wir doch schneller aufessen sollen. Er wartete schließlich den ganzen Tag auf diesen Moment.

Während der Bescherung rief immer eine Person den Namen des Glücklichen, während der Rest schnell darin einstimmte, zu rufen: „AUFMACHEN! AUFMACHEN!“ Nachdem das Geheimnis entlüftet war, riefen alle: „Hajajai“ So ging das ganze zwei Stunden. Der kleine Matz hatte extra Watte in den Ohren, um die Rufe nicht allzu stark zu hören. Als die Großeltern ankündigten, schlafen zu gehen, wurden schnell ihre restlichen Geschenke herausgesucht und der Herr im Haus, also der Großvater, hielt noch eine Rede, zu der wir alle mit Wein anstießen (wir leerten extra alle unsere Biergläser vorher). Anschließend stellten wir uns an, um die beiden persönlich zu verabschieden. Weiter ging es mit den manchmal heuchlerisch falsch klingenden Freuderufen. Ich bekam sogar auch etwas geschenkt, eine CD-Sammelhülle, Kalender 2011 und eine Sparbüchse von SouthPark, von der schon Farbe abbröckelte. Kurz nach der Bescherung verabschiedeten sich viele sehr schnell, um noch zu weiteren Weihnachtsfeier des Partners zu düsen oder aber um einfach unter die Bettdecke zu kriechen. Übrig blieb noch Alejandros engste Familie, mit denen wir noch ein Bier tranken. Schließlich führen wir mit Auto zu ihm nach Hause.

Am nächsten Morgen frühstückte ich einen Kaffee, da ich noch nicht richtig Hunger hatte. Danach schaute ich mir mit Alejandro eine Live-DVD von der bolivianischen Band Atajo an, wobei wir aber die ganze Zeit quatschten. Er zeigte mir danach seine Psychologieabschlussarbeit, was ein ganzes Buch über Essstörungen ist. Nach einigen weiteren Musikplatten schauten wir einige Szenen des Spielfilms „Irreversible“ an, der sich als sehr interessant aber auch heftig herausstellte. Die Bilder nehmen den Zuschauer durch ihren Inhalt sehr mit. Zum Mittagessen gab es dann leckeres pique machu. Vier Stunden später aßen alle außer mir dann Abendbrot. Danach fuhren wir zur España und trafen dort Freunde von mir, mit denen wir singend und ein paar Bieren den Abend gemütlich verbrachten.

Am 26. putzte ich mit Helena unsere Terrasse, nachdem uns unsere Hausherrin schon mehrmals daran erinnert hat. Im Internetcafé telefonierte ich dann noch mit Niko und abends bereitete ich etwas für den nächsten Arbeitstag vor, währen Helena so lieb war und uns Abendbrot zubereitete.

Eine wahrhaft herrliche Weihnacht.

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